15.07.06: Stellungnahme des Nationalen Ethikrat zur Sterbebegleitung

15.07.06: Stellungnahme des Nationalen Ethikrat zur Sterbebegleitung

Am 13. Juli 2006 hat der Nationale Ethikrat eine Stellungnahme „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ zur Sterbebegleitung veröffentlicht. Diese Stellungnahme wurde insgesamt gesehen zwar begrüßt, doch gab es auch zu einigen Punkten erhebliche Kritik an dem 62-seitigen Papier. (Mehr dazu im Pressespiegel unten.)

Kernpunkte der Stellungnahme

Die Mitglieder des Ethikrates schlagen darin vor, die eingeführte, aber missverständliche und teilweise irreführende Terminologie von indirekter, passiver und aktiver Sterbehilfe aufzugeben und Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken, in Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende, Sterben lassen, Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen umzubenennen.

Mit Blick auf Sterbebegleitung und Therapien am Lebensende unterstreicht der Ethikrat, dass jeder unheilbar kranke und sterbende Mensch Anspruch darauf habe, unter menschenwürdigen Bedingungen behandelt, gepflegt und begleitet zu werden. Bei allen Maßnahmen der Sterbebegleitung und der Therapien am Lebensende sei der Wille des Betroffenen maßgebend. Zum Sterben lassen gehöre nach Ansicht der Ethikrat-Mitglieder, dass jeder Patient das Recht hat, eine medizinische Maßnahme abzulehnen, auch dann, wenn diese Maßnahme sein Leben verlängern könnte.

Gleiches gelte, wenn der Betroffene zu einer Erklärung außer Stande ist, seine Ablehnung aber hinreichend sicher aus einer Patientenverfügung oder sonstigen verlässlichen Anhaltspunkten zu entnehmen ist. Sofern es keine sicheren Erkenntnisse über den Willen des Patienten gibt oder ein solcher nicht gebildet werden konnte, solle es keine strafrechtliche und berufsrechtliche nach sich ziehen, „wenn eine medizinische Behandlung unter Abwägung ihrer Aussichten auf Erfolg, des Leidenszustandes des Patienten und seiner voraussichtlichen Lebenserwartung nicht mehr angezeigt ist und sie deshalb unterlassen, begrenzt oder beendet wird.“ In Zweifelsfällen habe die Erhaltung des Lebens Vorrang.

Ausreichende palliativmedizinische Versorgung gewähren

Jedem unheilbar kranken und sterbenden Menschen müsse eine ausreichende palliativmedizinische Versorgung gewährt werden. Dabei sollten Ärzte Aspekte der Lebensqualität des Patienten über solche der maximalen Verlängerung seines Lebens stellen dürfen, ohne strafrechtliche Verfolgung befürchten zu müssen. Eine ausreichende stationäre und ambulante Versorgung in Pflegeheimen, Palliativstationen und Hospizen sei ebenso dringend geboten wie der Ausbau von Angeboten der interdisziplinären Aus- und Fortbildung für Ärzte und Pflegende im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden.

Das ehrenamtliche Engagement bei der Sterbebegleitung solle gefördert und unterstützt werden, und Angehörigen sollte eine kompetente Beratung über Pflege- und Versorgungsmöglichkeiten von schwer kranken Menschen zur Verfügung stehen. Zudem sollten arbeitsrechtliche Freistellungsansprüche eingeräumt werden, um nahe stehenden Personen die Begleitung eines Sterbenden zu ermöglichen.

Uneinigkeit in Bezug auf Suizid, Suizidintervention und Beihilfe zum Suizid

Uneinigkeit bestand bei den Ethikrat-Mitgliedern in Bezug auf Suizid, Suizidintervention und Beihilfe zum Suizid. Bestehen bei einem Suizidversuch eines schwer kranken Menschen klare Anhaltspunkte, dass der Versuch aufgrund eines ernsthaft bedachten Entschlusses erfolgt und dass der Betroffene jegliche Rettungsmaßnahme ablehnt, so sollen nach Auffassung der Mehrheit der Gremiumsmitglieder Personen, die beispielsweise als Ärzte oder Angehörige eine besondere Einstandspflicht für den Suizidenten haben, von einer Intervention absehen dürfen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Einige Mitglieder des Nationalen Ethikrates halten es dabei für erforderlich, diese Möglichkeit auf Situationen zu beschränken, in denen die schwere Krankheit absehbar zum baldigen Tod führen wird.

Im Hinblick auf die Zulässigkeit der ärztlichen Beihilfe zum Suizid und der organisierten Beihilfe zum Suizid bestehen im Nationalen Ethikrat zum Teil ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Viele Mitglieder sehen laut Stellungnahme in der ärztlichen Beihilfe zum Suizid einen Widerspruch zum ärztlichen Ethos und lehnen es deshalb ab, sie berufsrechtlich zuzulassen. Nach Auffassung eines anderen Teils der Mitglieder sollte es Ärzten jedoch möglich sein, „einem Patienten bei der Durchführung eines Suizids behilflich zu sein, sofern ein unerträgliches und unheilbares Leiden des Patienten vorliegt, die Entscheidungsfähigkeit des Patienten gegeben ist und sein Wunsch zu sterben – nach Beratung und ausreichender Bedenkzeit – als endgültig anzusehen ist.“

Einmütig spricht sich der Nationale Ethikrat für ein strafbewehrtes Verbot einer gewinnorientiert betriebenen Beihilfe zum Suizid aus. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) sollte beibehalten werden.

Ergänzende Informationen

PDF Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende
Stellungnahme Nationaler Ethikrat
62 Seiten, veröffentlicht 13.07.06

Pressespiegel zur Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zur Sterbebegleitung

Ergänzend gibt es einen Presseschau mit einer Auswahl an Presseberichten zur Stellungnahme des Nationalen Ethikrates zur Sterbebegleitung.

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