09.06.11: Erbitterter Streit um Ethik-Preis an Peter Singer – Preisverleihung trotz Proteste durchgeführt

Am 3. Juni 2011 fand in Frankfurt am Main in der Deutschen Nationalbibliothek ungeachtet vorangegangener Proteste die Verleihung des Ethik-Preises der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) an den umstrittenen australischen Philosophen und Bioethiker Peter Singer statt.

Der mit 10.000 Euro dotierte und erstmalig vergebene Preis wurde ihm zusammen mit der italienischen Philosophin Paola Cavalieri für seine Verdienste um die Tierrechte im Rahmen eines Festaktes verliehen. Beide Preisträger sind Initiatoren des Great Ape Projects, in dem sie für Grundrechte von Menschenaffen eintreten. Unterstützt von renommierten Primatologen wie Jane Goodall fordert das Great Ape Project für Orang-Utans, Gorillas, Bonobos und Schimpansen einige jener Privilegien ein, die bisher nur für Menschen gelten: Recht auf Leben, Recht auf Freiheit und ein Verbot der Folter.

Kein Raum für „Tötungs-Philosophen“ Peter Singer

Kurz zuvor hatte am 01.06.11 der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, eindringlich an die Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, Elisabeth Niggemann, appelliert, die Preisverleihung an den von Hüppe als „Tötungs-Philosophen“ bezeichneten Singer in ihren Räumlichkeiten zu verhindern. „Sollte die Verleihung nicht zu verhindern sein, erwarte ich eine deutliche Distanzierung der Deutschen Nationalbibliothek vom Preisträger“, betonte Hüppe in einer Pressemitteilung.

Die Giordano-Bruno-Stiftung tritt für die Freigabe der Präimplantationsdiagnostik ein. Peter Singer gilt als sogenannter Utilitarist. Er knüpft die Würde des Menschen an seine Nützlichkeit. In einem Schreiben an die Generaldirektorin verdeutlichte der Behindertenbeauftragte die menschenverachtende Haltung von Peter Singer, Menschen mit Behinderungen das Lebensrecht abzusprechen und ihre Tötung zu verharmlosen.

„Eine Preisverleihung an Peter Singer in der Deutschen Nationalbibliothek trägt dazu bei, ein Gedankengut salonfähig zu machen, das seit den Gräueltaten der Nationalsozialisten an Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen nie wieder Raum greifen sollte. Besonders perfide sind die von Peter Singer ausgelösten Diskussionen deshalb, weil er das Lebensrecht von Menschen in Frage stellt, die sich selbst häufig weder an den Diskussionen beteiligen können noch sich wehren können“, so Hüppe.

Der Behindertenbeauftragte wies im Schreiben an die Generaldirektorin darauf hin, dass die Deutsche Nationalbibliothek als öffentliche Einrichtung und durch ihre Aufgabe, das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, eine besondere Verantwortung und Vorbildfunktion habe. Auch Vertreter von Behindertenverbänden hatten gegen die Auszeichnung Singers massiv protestiert. Singer steht seit über 20 Jahren nicht nur in Deutschland wegen seiner Thesen unter Kritik.

Rücktrittsforderungen

Kurz nach den Forderungen Hüppes hatte daraufhin die Giordano-Bruno-Stiftung den Rücktritt Hüppes vom Amt des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung gefordert. „Hüppes Versuch, die Verleihung des Ethik-Preises 2011 an die Initiatoren des Great Ape Projekts zu verhindern, zeugt sowohl von fehlender Sachkenntnis als auch von erschreckend geringer Achtung der Prinzipien einer offenen pluralen Gesellschaft“, erklärte dazu gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon in einer Presseaussendung vom 01.06.11.

„Dass Hüppe behauptet, unser Preisträger Peter Singer würde behinderten Menschen das Lebensrecht absprechen, ist eine atemberaubende Diffamierung. Peter Singers Ethik in eine Verbindung mit Nazi-Gräueltaten zu bringen, ist nicht nur inhaltlich absurd, sondern angesichts der Tatsache, dass der Autor drei seiner vier jüdischen Großeltern in deutschen Konzentrationslagern verlor, eine Geschmacklosigkeit sondergleichen. Wir werden solche Rufmordkampagnen nicht hinnehmen. Sollte sich Hubert Hüppe für seine Entgleisungen nicht öffentlich entschuldigen, werden wir prüfen, ob wir nicht rechtliche Schritte gegen ihn einleiten können“, drohte Schmidt-Salomon.

Die Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek Elisabeth Niggemeier sah unterdessen keine Veranlassung den Forderungen Hüppes nachzukommen und gegen die Preisverleihung einzuschreiten. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Focus vom 02.06.11 erklärte sie in einem Schreiben an Hüppe, bei der Vermietung der Räumlichkeiten habe man „den Anspruch, dass alle nachfragenden Personen und Organisationen nach gleichen transparenten Maßstäben behandelt werden. Wir verhalten uns dabei neutral und nehmen keinen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der Veranstaltungen“.

Die Preisverleihung sowie eine Podiumsdiskussion am Folgetag zum Thema Hirnforschung und Moral konnte schließlich Berichten zufolge anders als vor zwanzig Jahren, als es mehrfach zu Ausschreitungen bei Singer-Auftritten kam, weitgehend störungsfrei am geplanten Ort durchgeführt werden.

Giordano-Bruno-Stiftung lädt zur Diskussion mit Behindertenverbänden ein

Nach der Preisverleihung hat der Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung die Rücktrittsforderung gegenüber dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung zurückgezogen. Statt rechtliche Schritte gegen den CDU-Politiker Hubert Hüppe einzuleiten, schlägt die gbs laut Pressemitteilung der Stiftung vom 9. Juni eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung mit Hüppe und anderen Behindertenaktivisten vor, „die dazu beitragen soll, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen“.

Die Presseaussendung bezieht sich dabei auf ein Schreiben, das die Stiftung an die Behindertenaktivistin Ursula Lehmann gefaxt habe. Lehmann hatte in einem Brief, der unter anderem auf kobinet-nachrichten.de veröffentlicht wurde (siehe unten), gegen die Verleihung des Ethikpreises an Peter Singer protestiert. In dem ausführlichen Antwortschreiben der gbs ging der Stiftungsvorstand noch einmal auf Quellen möglicher Missverständnisse ein.

So sei es „ein anerkanntes Verfahren der Analytischen Philosophie, Sachverhalte zunächst einmal infrage zu stellen“, um sie philosophisch begründen zu können. Dies gelte für die Frage nach der „Wahrheit“ ebenso wie für die Frage nach den „Lebensrechten“. Das bloße Infragestellen von Sachverhalten sei daher nicht kritikwürdig, problematisch könnten allenfalls die Schlüsse sein, zu denen ein Autor letztlich gelangt.

Singer jedenfalls habe „niemals gegen Behinderte gehetzt“, auch wenn „manche Passagen in seinen Texten so erscheinen mögen, wenn man sie aus dem argumentativen Zusammenhang herauslöst“, so die Stiftung. Ausführlichere Begründungen zur Preisverleihung an Singer sind im Schreiben nachzulesen, dass auf der Webseite der gbs abrufbar ist.

Ergänzende Informationen zum Ethik-Preis an Peter Singer:

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