03.03.11: Änderungen im Betäubungsmittelrecht beschlossen: Bundesregierung will bessere Schmerztherapie für Schwerstkranke und Sterbende
Das Bundeskabinett hat am 2. März 2011 eine bessere Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Patienten mit Schmerzmedikamenten beschlossen. Hierzu soll das Betäubungsmittelrecht geändert werden. Der Beschluss geht auf eine Initiative von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) zurück. Laut dem Berichterstatter für Palliativmedizin der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kauch, sollen erstmals cannabishaltige Fertigarzneimittel zur Schmerzbehandlung zugelassen werden. Künftig dürfen nicht aufgebrauchte Schmerzmittel für andere Patienten verwendet werden und Hospize einen Notfallvorrat an Betäubungsmitteln parat halten. Bislang ist das nicht zulässig.
„So gibt es keine Zeitverzögerung mehr, wenn Sterbende und Schwerstkranke unmittelbar mit Schmerzmitteln versorgt werden müssen. Bisher bedarf es für jeden Fall der gesonderten Verschreibung durch einen qualifizierten Arzt – auch dann, wenn es sich lediglich um eine Neuverschreibung handelte, weil der verordnete Vorrat aufgebraucht war“, erklärte Kauch in einer Pressemitteilung. Dies führe insbesondere in den Nachtstunden und am Wochenende zu Verzögerungen und nicht hinnehmbaren Leiden der Patienten. „Für Hospize bedeutet die neue Regelung eine enorme Erleichterung in ihrem Alltag. Für die Patienten bedeutet sie schnelle und kompetente Hilfe“, so der Abgeordnete.
Des Weiteren werden die Vorschriften für die Weiterverwendung von Betäubungsmitteln, die nach dem Tod eines Patienten übrig geblieben sind, auf die spezialisierte ambulante Palliativversorgung ausgeweitet. Das bedeutet, dass auch ambulante Palliativteams künftig nicht verwendete Schmerzmittel einem anderen Patienten verordnen dürfen. Das spare Kosten und vermindere den bürokratischen Aufwand, so Kauch. „Mit seiner Initiative verfolgt der Bundesgesundheitsminister konsequent den Weg weiter, die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Behandlung Sterbenskranker zu optimieren und den gesetzlich verankerten Anspruch auf Leid mindernde Palliativmedizin zu untermauern“, erklärte Kauch abschließend. Die Verordnung tritt in Kraft, sobald der Bundesrat zugestimmt hat.
Schmerzpatienten in Pflegeheimen ausgeschlossen
Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung dagegen kritisierte die geplante Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung als „zu kurz gegriffen“ und „nicht ausreichend“. Zwar sei zu begrüßen, dass damit den 23.000 Patienten in den wenigen 165 bestehenden Hospizen ein patientenunabhängiger Schmerzmittelvorrat zur Verfügung stehe. Es fehle jedoch für die 700.000 Patienten in rund 11.000 Pflegeheimen weiterhin eine gleichlautende Regelung.
„Es kann nicht sein, dass den Pflegebedürftigen in den Heimen, die schon heute kein Recht haben, in ein stationäres Hospiz aufgenommen zu werden, auch noch der gleichwertige Zugang zur Schmerzversorgung vorenthalten wird. Schwerstkranke brauchen sowohl in den Pflegeheimen als auch in Hospizen gleiche Verhältnisse. Es darf bei der Schmerztherapie keine Zweiklassengesellschaft geben“, erklärte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung vom 2. März.
Einen Tag vor dem Kabinettsbeschluss stellten die Patientenschützer auf einer Pressekonferenz ihre eigenen Gesetzesvorschläge zu diesem Thema vor. Darin fordern sie eine Erlaubnis für Pflegeheime, Notfallvorräte an hochwirksamen Schmerzmitteln anlegen zu dürfen. Außerdem sprechen sie sich dafür aus, dass ambulante Palliativteams mit ihren Ärzten ihren Patienten einen Notfallvorrat aushändigen dürfen, der ihre Schmerzen für wenigstens 24 Stunden lindert.
„Wenn ein Pflegeheim-Bewohner ein hochwirksames Schmerzmittel braucht, dann muss dieses in einer Apotheke besorgt werden. Das kann mehrere Stunden dauern. Eine unerträgliche Situation“, erklärte Brysch. Auch in Pflegeheimen gebe es hochqualifizierte Pflegekräfte, die die Schmerzmittel verabreichen und eine palliative Therapie begleiten können. „Wir haben kompetente Kräfte in deutschen Pflegeheimen, die die gleiche Qualifikation wie Hospiz-Mitarbeiter haben, diese aber nicht anwenden können“, mahnte Brysch. Bisher sei die Schmerzbekämpfung in deutschen Pflegeheimen mangelhaft.
Wenig Verbesserung für Versorgung Schwerstkranker zu Hause
Auch für die 12.000 Schwerstkranken, die von ambulanten Palliativteams zu Hause versorgt werden, werde sich durch die Änderung des Betäubungsmittelrechts wenig verbessern. Zwar sollen die Teams Notvorräte an hochwirksamen Schmerzmitteln in ihren eigenen Einrichtungen anlegen können. Sie dürfen aber dem Patienten pro Besuch nur so viel aushändigen, wie er für den sofortigen Verbrauch benötigt.
Schwierig werde diese Regelung, wenn der Patient plötzlich starke Schmerzen bekommt. In einem solchen Fall müsste er – auch nach der neuen Regel – auf das Eintreffen des Palliativ-Teams zu Hause warten. Das Einlösen eines Rezeptes in einer Apotheke sei in einer solchen Situation auch keine Lösung. „Viele Schwerstkranke müssen deshalb stundenlange Schmerzen erdulden, bevor sie ihre Medizin erhalten“, kritisierte Brysch. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoll, wenn das Palliativ-Team dem Patienten einen Vorrat für die kommenden 24 Stunden aushändigen dürfte.
Mit den Gesetzesvorschlägen wendet sich die Patientenschutzorganisation direkt an die Bundestagsfraktionen. „Es muss eine Koalition der Vernünftigen geben, denn niemand kann Interesse daran haben, dass es hunderttausende Schmerzpatienten gibt, die vernachlässigt werden, nur weil die rechtlichen Normen nicht an ihren Bedürfnissen ausgerichtet sind“, so Brysch.
Ergänzende Informationen:
- Verbesserungen der palliativen Schmerztherapie von Patienten in Pflegeheimen und Zuhause
Gesetzesvorschläge Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung
Vorgestellt im März 2011 (PDF-Format)
- Bundes-Cannabinett: Kein Joint-Venture für Schmerzpatienten
Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 02.03.11