21.02.10: Neue Studie: Zunehmende Befürwortung aktiver Sterbehilfe in Österreich
Die Zustimmung zu aktiver Sterbehilfe bei den Österreichern nimmt stetig zu. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Uni Graz, die am 17. Februar 2010 vorgestellt wurde. Demnach befürworten 62 Prozent der österreichischen Bevölkerung aktive Sterbehilfe, 30 Prozent sind dagegen und acht Prozent unentschieden. Männer antworteten mit 66 Prozent pro-Stimmen etwas öfter für aktive Sterbehilfe als Frauen mit 58,5 Prozent. Dies entspricht laut Pressemitteilung des Instituts einer Zunahme von ca. 13 Prozent gegenüber den Jahren 2000 und 2006, wo bei vergleichbaren Befragungen des IMAS-Instituts (Institut für Markt- Sozialanalysen Ges.m.b.H.) sich erst 49 Prozent für aktive Sterbehilfe und ca. 25 Prozent dagegen aussprachen.
Wie die Forscher mitteilten, sei die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zu Fragen der Sterbehilfe bislang nur durch sehr einfache Erhebungen ermittelt worden, welche genauere Unterscheidungen, z.B. zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe, nur unzureichend zulassen. In der aktuell durchgeführten Studie wurden 1.000 Österreicher ab 16 Jahren als repräsentative Stichprobe der österreichischen Bevölkerung telefonisch zur Akzeptanz von passiver Sterbehilfe sowie die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe befragt.
Unter passiver Sterbehilfe versteht man laut Definition des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie „einen vom Patienten selbst verlangten Abbruch einer medizinisch noch möglichen lebensverlängernden Behandlung bei unheilbarer Krankheit oder schwerem Leiden. Aktive Sterbehilfe bezeichnet die Möglichkeit, dass unheilbar Kranken und schwer leidenden Menschen der Wunsch zum Sterben erfüllt wird, indem ein Mittel verabreicht wird, das ihren Tod herbeiführt.“
Akzeptanz von aktiver und passiver Sterbehilfe
Gefragt wurde zuerst nach der Akzeptanz von passiver Sterbehilfe. Hier waren 78 Prozent der Befragten dafür, 13 Prozent dagegen und neun Prozent unentschieden. Männer waren dabei mit 81 Prozent pro-Stimmen tendenziell etwas stärker dafür als Frauen, von denen sich 75 Prozent dafür aussprachen.
Im Anschluss wurde nach der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe gefragt, wobei das Vorliegen von Schmerzen in dieser Fragestellung nicht als Bedingung angeführt wurde, mit den obigen Ergebnissen. Diese Ergebnisse spiegeln die prinzipielle Einstellung der Bevölkerung zur Sterbehilfe wieder, jedoch bedeute dies nicht die Forderung nach einer Regelung, wie sie z.B. in den Niederlanden angewandt wird, betonen die Forscher. In Österreich ist aktive Sterbehilfe bislang verboten, nur passive ist erlaubt.
Eine zweite Frage zur aktiven Sterbehilfe wurde mittels eines konkreten Fallbeispiels mit einem alten sterbenskranken Patienten, der unter starken Schmerzen leidet, gestellt. Hierbei waren 58 Prozent der Befragten dafür, dass ein Arzt auf Wunsch des Patienten sein Leben mit einer tödlichen Spritze beendet. Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei charakteristischen Fallbeispielen weniger Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe angegeben wird als bei einer abstrakten Fragestellung, die eine allgemeine Regel beschreibt. Hinsichtlich Alter, Einkommen und Wohnort zeigten sich keine deutlichen Unterschiede in den Einstellungen der Befragten. Bei jüngeren Menschen findet sich leicht höhere Zustimmung als bei älteren. Menschen mit Erfahrung in der Pflege schwer kranker Menschen lehnen aktive Sterbehilfe öfter ab als Personen, die keine Erfahrung angeben, so die Ergebnisse der Studie.
Einstellungen zur Sterbehilfe überwiegend durch weltanschauliche Überzeugungen geprägt
Der Faktor, welcher am stärksten mit den Einstellungen zur Sterbehilfe im Zusammenhang stand, betraf die weltanschauliche Positionierung zwischen konservativ und liberal. Die Befragten, die sich als liberal bezeichnen, waren mit 68 Prozent pro- und 25 Prozent kontra-Stimmen deutlich stärker für die aktive Sterbehilfe als Personen mit konservativer Selbsteinschätzung, die nur zu 54 Prozent pro aber zu 38 Prozent kontra eingestellt sind.
Bei der passiven Sterbehilfe zeigten sich vergleichbare Unterschiede. 83 Prozent waren bei den liberalen dafür, gegenüber 71 Prozent pro bei den konservativen Personen. „Besonders die mit einer liberalen Weltsicht verbundene Betonung der Freiheit und Selbstverantwortung des Einzelnen – wie sie in den letzten Jahrzehnten massiv an Bedeutung gewann – dürfte für die zunehmende Akzeptanz eine entscheidende Rolle spielen. Die Betonung eines autonomen Subjekts, das unabhängig von der jeweiligen Lebenssituation frei für sich das Richtige wählen kann, ist aber eine wirklichkeitsfremde Idealisierung, die gerade auf Schwerkranke kaum zutrifft. In Zeiten knapper Ressourcen könnte eine Legalisierung letztlich dazu führen, dass nur Wohlhabenden die freie Wahl zwischen kostenintensiver Palliativmedizin und Sterbehilfe offen steht“, interpretierten die Studienautoren Univ.-Prof. Dr. Willibald Stronegger und Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Freidl die Ergebnisse.
Kritik des Österreichischen Seniorenbundes an der Sterbehilfe-Studie
Scharfe Kritik an der Sterbehilfe-Studie kam von Seiten des Österreichischen Seniorenbundes in Wien. „Die vorgestellte Studie, wonach angeblich fast zwei Drittel der Menschen in Österreich für die aktive Sterbehilfe eintreten würden, muss deutlich hinterfragt werden“, erklärte Heinz K. Becker, Generalsekretär des Österreichischen Seniorenbundes in einer Presseaussendung am 17. Februar 2010.
„Sind Telefoninterviews wirklich die richtige Methodik, um eines der sensibelsten Themen des Lebens abzufragen, so wie die Meinung zu Waschmitteln oder Knabbergebäck erhoben wird? Inwiefern sind die 1.000 Telefonate repräsentativ?“, fragte Becker. Denn die übliche Alterswahl bei solchen Stichproben liege bei Menschen ab 16, erreiche jedoch nur sehr selten Menschen ab 70, gab er zu bedenken. „Und 16-jährige können wohl nicht damit rechnen bald in eine solche Situation zu kommen, haben sich daher eher nicht persönlich mit dem Thema auseinander gesetzt. 97-jährige hingegen schon – und das macht einen großen Unterschied in der Beurteilung! Daher lehnen wir – neben unserer prinzipiellen Wertehaltung – auch spekulative Stimmungsmache vor allem in Angelegenheiten, die die Würde des Menschen betreffen, entschieden ab“, stellte er klar.
„Der Seniorenbund wird jedenfalls niemals der aktiven Sterbehilfe zustimmen. Denn niemand soll das Leben eines anderen auslöschen und das Verbot der aktiven Sterbehilfe gibt es nicht zufällig in der überwiegenden Mehrzahl aller zivilisierten Staaten der Welt“, betonte Becker. „Was wir wollen, ist ein würdevolles, schmerzfreies Sterben, verstärkte Nutzung der exzellenten medizinischen und pharmazeutischen Fortschritte, den massiven Ausbau der Palliativ-Medizin und des Hospizwesens“, so der Seniorenbund-Vertreter.
Ergänzende Informationen:
- Auch im Leid nie allein
Die Legalisierung der Sterbehilfe würde in die falsche Richtung führen.
Gastkommentar von Klaus Küng
In den letzten Tagen hat eine neue Studie der Med-Uni Graz aufhorchen lassen.
DIE PRESSE.COM 20.02.10