04.06.10: Anstehendes Urteil: Bundesgerichtshof entscheidet über Sterbehilfe

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat sich am 2. Juni 2010 mit den grundsätzlichen Fragen der Sterbehilfe befasst. In dem Verfahren wird über die Revision des Münchner Rechtsanwalt für Medizinrecht und Lehrbeauftragter für Recht und Ethik der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München Wolfgang Putz (59) verhandelt, der im April 2009 vom Landgericht Fulda wegen aktiver Sterbehilfe zu neun Monaten Haft verurteilt worden war. Die Strafe wurde damals gegen Zahlung von 20.000 EUR zur Bewährung ausgesetzt.

In dem BGH-Verfahren geht es im Kern darum, Fragen der strafrechtlichen Erlaubtheit und Grenzen von passiver Sterbehilfe zu klären und auch zur gesamten Rechtslage nach dem neuen Patientenverfügungsgesetz vom 1. September 2009 Stellung zu nehmen.

Zum Hintergrund des Verfahrens

Hintergrund des Verfahrens ist der Fall der damals seit fünf Jahren im Wachkoma in einem Pflegeheim liegenden 76-jährigen Erika K. Um ihrer Mutter nach eigenem Bekunden ein Sterben in Würde zu ermöglichen, hatte die Tochter Elke G. Ende 2007 auf Behandlungsabbruch gedrängt. Putz veranlasste daraufhin im Dezember 2007 die Einstellung der künstlichen Ernährung. Dieser Anordnung hatten sich die Heimbetreiber in Bad Hersfeld jedoch nach einer bereits beendeten ärztlichen Infusionstherapie widersetzt und die künstliche Ernährung wieder aufgenommen. Auf Anraten von Putz durchschnitt die Tochter schließlich den Schlauch der Magensonde, um das nach Ansicht des Anwalts rechtswidrige Handeln des Pflegeheimes wirksam zu verhindern.

Das Landgericht Fulda bewertete dies im anschließenden Verfahren als versuchten Totschlag. Die Mitangeklagte Elke G. wurde in diesem Verfahren rechtskräftig freigesprochen, weil sie sich laut Urteil vom 30. April 2009 angesichts des Rechtsrats durch den Anwalt in einem unvermeidbaren Erlaubnisirrtum befunden und deshalb ohne Schuld gehandelt haben soll.

Die Staatsanwaltschaft hatte in dem damaligen Verfahren für eine dreieinhalb-jährige Haftstrafe plädiert, da sie sowohl den behandelnden Arzt als auch das Pflegeheim erheblich unter Druck gesetzt haben soll. Laut Staatsanwaltschaft hätten Tochter und Anwalt gemeinschaftlich einen Rettungsversuch vereitelt und sich der aktiven Sterbehilfe schuldig gemacht. Die Patientin war bereits kurz nach Verlegung in eine Klinik, in der sie eine neue Magensonde bekam, an ihrer schweren Krankheit verstorben.

Verteidigung und Oberstaatsanwaltschaft beantragten vor dem BGH Freispruch

Nach der Urteilsverkündung des Landgerichts Fulda ging Putz mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision vor den Bundesgerichtshof, um einen Freispruch für sich zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft legte ebenfalls Revision ein. Sie beanstandete die Strafzumessung des Landgerichts und wollte im Revisionsverfahren eine Erhöhung des Strafmaßes für Putz erwirken. Wie Putz in einer Pressemitteilung vom 15. Mai 2010 zur BGH-Verhandlung ausführt, sieht er in seinem Handeln „die zwingend gebotene Abwehr des rechtswidrigen Vorhabens des Pflegeheimes“.

Das Landgericht Fulda habe festgestellt, dass es rechtmäßig und geboten war, die Patientin palliativ begleitet sterben zu lassen. Weiter habe es festgestellt, dass die geplante eigenmächtige Wiederaufnahme der Ernährungstherapie durch das Pflegeheim eine Körperverletzung gewesen wäre. Er sei daher verpflichtet gewesen, diesen „strafbaren Angriff der Pflegekräfte“ abzuwehren. Sowohl Verteidigung als auch Oberstaatsanwaltschaft beantragten vor dem BGH nun Freispruch. Oberstaatsanwalt Lothar Maur beantragte Freispruch, da der Anwalt im Sinne des Patientenverfügungsgesetzes, d.h. nach dem Willen der Kranken, gehandelt habe.

Der Bundesgerichtshof muss sich nun mit der Frage befassen, inwieweit sich zwei Gesetze widersprechen. Zum einen das 2009 beschlossene Patientenverfügungsgesetz, das den Sterbewillen der betroffenen Person respektiert und unabhängig davon gilt, in welchem Gesundheitszustand sie sich befindet. Zum anderen das Verbot der Tötung auf Verlangen. Das Urteil des Landgerichts Fulda war vier Monate vor Inkrafttreten des Patientenverfügungsgesetzes gefällt worden. Der BGH hatte nach der Hauptverhandlung eine Entscheidung vertagt und die Urteilsverkündung auf den 25. Juni angesetzt.

Weitreichende Folgen des zu erwartenden Urteils

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung in Berlin hat unterdessen vor den Folgen des BGH-Urteils gewarnt. „Patienten im Wachkoma sind keine Sterbenden. Sie sind Schwerstkranke, die ein Recht auf umfassende Versorgung und Pflege haben. Wenn sich die Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes jetzt grundsätzlich zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei entscheidungsunfähigen Patienten äußern, müssen sie dies in den Vordergrund ihrer Überlegungen stellen“, erklärte der Geschäftsführer der Stiftung, Eugen Brysch in einer Presseaussendung vom 1. Juni. „Die Entscheidung der Richter ist weitreichend. Sie wird auch die hunderttausende demenziell Erkrankten betreffen, die ebenso wenig Sterbende sind wie Patienten im Wachkoma.“

Solche „Wild-West-Methoden“ wie Putz sie angewandt hatte, dürfe man nicht zulassen. „Vor allem aber muss klar gestellt werden, dass es beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen einzig und allein auf den Willen des schwerstkranken Patienten ankommt“, erklärte Brysch.

„Die entscheidenden Fragen müssen lauten: Woher wissen wir, ob das Opfer wirklich sterben wollte? Und inwiefern hatte sich im konkreten Fall, fünf Jahre nachdem die Patientin ins Wachkoma gefallen war, ihre Situation grundsätzlich geändert? Schon das Landgericht Fulda hätte hier Klarheit schaffen müssen. Doch der Wandel der ärztlichen Einschätzung, ob künstliche Ernährung medizinisch angezeigt ist oder nicht, wurde nicht in Frage gestellt. Das ist gefährlich. Denn ob künstliche Ernährung Körperverletzung ist, darf nicht davon abhängen, wie lange sie andauert und wie groß die Last für Angehörige ist“, warnte Brysch.

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