06.03.09: Debatte über Patientenverfügungen: Uneinigkeit bei Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages
In einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 04. März 2009 diskutierten neun Sachverständige über eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen. Wie diese Regelungen konkret aussehen sollen, ist allerdings nach wie vor umstritten. Die nahezu einhellige Meinung der geladenen Experten war, dass eine gesetzliche Regelung notwendig ist. Gegenteilige Forderungen der Bundesärztekammer wiesen sie zurück. Zudem forderten Mediziner die Stärkung der Palliativmedizin.
In der Anhörung äußerten sich die Fachleute zu drei fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen und einem Antrag der FDP-Fraktion, die dem Bundestag zurzeit vorliegen. Umstritten sind dabei vor allem der Grad der Verbindlichkeit und die Reichweite einer Patientenverfügung.
Der Entwurf einer Gruppe um Joachim Stünker (SPD) betont dabei das Selbstbestimmungsrecht. Das Konzept einer Gruppe um Wolfgang Bosbach (CDU) sieht dagegen je nach Krankheit und Krankheitsphase eine abgestufte Verbindlichkeit einer Patientenverfügung vor. Es setzt zudem auf ärztliche und rechtliche Beratung. Nach dem Vorschlag einer Gruppe um Wolfgang Zöller (CSU) sollen dagegen Verfügungen grundsätzlich verbindlich sein. Dabei wird die Rolle des Arztes als Entscheider betont.
Bei der Expertenanhörung zeichnete sich keine eindeutige Favorisierung der Entwürfe ab. Zu allen Vorschlägen gab es Forderungen nach Korrekturen. Umstritten blieb auch eine Absolutsetzung der Selbstbestimmung des Einzelnen. Auch in vorangegangenen Debatten der letzten fünf Jahre, zuletzt in einer Debatte Ende Januar (siehe das Themenspecial vom 24.01.09), konnte bisher keine Einigung über eine rechtliche Regelung von Patientenverfügungen erzielt werden.
Bundesjustizministerin Zypries: Aktuelle Rechtslage ausreichend
In einem Deutschlandfunk-Interview vor der Anhörung schloss Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nicht aus, dass diese Legislaturperiode mit den Bundestagswahlen im September ohne eine Regelung für Patientenverfügungen enden könne. Man müsse im Bundestag, falls keine Einigung zwischen den Entwürfen zustande kommt, „sehr genau überlegen“, ob man auf jeden Fall abstimmen sollte, erklärte Zypries. Im Moment komme man mit der aktuellen Rechtslage durchaus zurecht.
Der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, forderte nach der Anhörung eine klare Entscheidung zu Gunsten eines Patientenverfügungsgesetzes zu treffen. Die Anhörung im Rechtsauschuss habe gezeigt, dass alle Argumente auf dem Tisch liegen. „Wir brauchen jetzt den politischen Gestaltungswillen, um die positiven Ansätze der verschiedenen Entwürfe im Sinne eines praxistauglichen und guten Patientenverfügungsgesetzes zusammenzuführen“, erklärte Brysch in einer Pressemitteilung vom 4. März.
„Kein Entwurf verfügt bislang über die nötige Mehrheit. Um zu einem Gesetz zu kommen, muss eine Brücke gebaut werden zwischen den Grundrechten auf Selbstbestimmung und Integritätsschutz“, so seine Forderung. Denn es sei klar, dass die augenblickliche Rechtslage undurchschaubar und widersprüchlich sei. Sowohl Patienten als auch Ärzte und Richter befänden sich zurzeit „im ethischen und juristischen Treibsand.“
Bundesärztekammer: Von einem detaillierten Patientenverfügungsgesetz absehen
Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, hatte dagegen unmittelbar vor der Anhörung erneut an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages appelliert, von einem detaillierten Patientenverfügungsgesetz abzusehen. Mit einer „Verrechtlichung des Sterbens“ sei niemandem gedient. „Der Gesetzgeber solle sich deshalb darauf beschränken, eventuell notwendige verfahrensrechtliche Fragen wie die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts oder die Notwendigkeit der Schriftform einer Patientenverfügung klarzustellen“, erklärte Hoppe in einer Presseaussendung.
Von den derzeit diskutierten Entwürfen komme der Vorschlag der Unionsabgeordneten Zöller und Faust den Vorstellungen der Ärzteschaft am nächsten. Der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille sei schon heute verbindlich, soweit nicht rechtlich Verbotenes, z.B. aktive Sterbehilfe, verlangt werde. Um Zweifeln an der Bindungswirkung zu begegnen, empfiehlt die Ärztekammer Patienten, vor Abfassung einer Patientenverfügung das Gespräch mit einem Arzt des Vertrauens zu suchen und eine Vertrauensperson zu benennen, mit der die Patientenverfügung und der darin erklärte Wille besprochen wurden.
„Besondere Bedeutung ist hier der Vorsorgevollmacht beizumessen, mit der ein Patient eine Person des Vertrauens zum Bevollmächtigten in Gesundheitsangelegenheiten erklärt. Damit hat der Arzt einen Ansprechpartner, der den Willen des Verfügenden zu vertreten hat und der bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mitwirkt“, sagte Hoppe.
Ergänzende Informationen:
- Gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung befürwortet
Neun Sachverständige äußerten sich zu drei Gesetzentwürfen
MITTEILUNG Deutscher Bundestag 06.03.09
Dort gab es alle Gesetzentwürfe und die Stellungnahmen als Download im PDF-Format. Leider ist der Text nicht mehr abrufbar!
- Punischer Krieg um Patientenverfügungen im Bundestag
von Oliver Tolmein
Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages – für den Blogger von Welt heißt das gegebenenfalls sich einen Stapel PDF herunterzuladen. Wer kommt schon nach Berlin?
FAZ.NET Blog Biopolitik 04.03.09
- Themenspecial vom 23.01.09: Patientenverfügungen: Erneute Debatte im Deutschen Bundestag
Männlich, privatversichert, nichtbehindert – Experten für Patientenverfügungen im Bundestag
von Oliver Tolmein
Ein Sozialwissenschaftler, drei Ärzte, fünf Juristen – auch wenn es bei der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am Mittwoch um Patientenverfügungen geht, steht doch offenbar in erster Linie ein Gesetz auf der Tagesordnung, und wer hat dazu in erster Linie etwas zu sagen?
FAZ.NET Blog Biopolitik 03.03.09