02.10.09 Erste Pflegenoten für Heime: Gravierende Mängel in der Pflege und fragwürdige Bewertungen

02.10.09 Erste Pflegenoten für Heime: Gravierende Mängel in der Pflege und fragwürdige Bewertungen

In der Zeit vom 1. Juli bis Mitte September 2009 sind in ganz Deutschland die ersten 1057 Pflegeheime nach den Regeln der neuen Pflegenoten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geprüft worden. Dabei wurden in zahlreichen Einrichtungen insbesondere im pflegerischen Bereich gravierende Mängel offenkundig. Dies geht aus einer gemeinsamen Pressemitteilung des MDK und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung GKV vom 8. Oktober hervor.

Konkret wurden laut Mitteilung über 700 Einrichtungen von den Prüfern des MDK „sehr gute“ oder „gute“ Qualität bescheinigt. 73 Heime erhielten dagegen in der Gesamtnote lediglich ein „ausreichend“ und zwölf sogar nur die Gesamtnote „mangelhaft“. Die Gesamtnote „befriedigend“ bekamen 256 der geprüften Häuser.

Vier Qualitätsbereiche

Stärkere Differenzierungen zeigen sich in den Einzelnoten der vier Qualitätsbereiche, die im Internet größer als die Gesamtnote dargestellt werden. Mehr als die Hälfte der Pflegeheime erzielten demnach im Kernbereich „Medizin und Pflege“ eine gute Qualität, d.h. 231 Heime bekamen ein „sehr gut“ und 311 Heime „gut“. Fast ein Fünftel der Pflegeheime hat jedoch im pflegerischen Kernbereich schlecht abgeschnitten. 124 Heime wurden als „ausreichend“ und 41 Heime als „mangelhaft“ bewertet. Einem Viertel der Einrichtungen wurde hier eine mittlere Qualität bescheinigt.

Im Qualitätsbereich „Umgang mit demenzkranken Bewohnern“ erhielten 192 Pflegeheime die Noten „ausreichend“ oder „mangelhaft“; im Bereich „Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung“ waren es 105 Häuser.

„Die Ergebnisse zeigen, dass eine Reihe von Einrichtungen zum Teil deutliche Qualitätsdefizite hat und in die Verbesserung seiner Qualität investieren muss. Hier stellen die Pflegenoten endlich Transparenz her. Mit diesen Zahlen sind die Behauptungen von Kritikern widerlegt, dass es keine schlechten Bewertungen von Pflegeeinrichtungen geben wird“, erklärte Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.

Als wenig aussagekräftig habe sich hingegen die Bewohnerbefragung erwiesen. Die Noten „ausreichend“ oder „mangelhaft“ wurden hier gar nicht vergeben. 98,8 Prozent der Einrichtungen erhalten hier gute Noten; 87,0 Prozent sogar ein „sehr gut“. Sie biete damit Pflegebedürftigen und Angehörigen kaum Entscheidungshilfe für die Auswahl einer Einrichtung.

Kritik an den Pflegenoten-Ergebnissen

Als „niederschmetternd“ bezeichnete dagegen die Deutsche Hospiz Stiftung die Ergebnisse der Pflegenoten. „Im pflegerischen Bereich erhalten 20 % der Pflegeheime schlechte Noten. Hinter dieser nüchternen Statistik verstecken sich jedoch über 140.000 betroffene Menschen. Das ist zutiefst Würde verletzend“, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung. Die Koalitionäre seien aufgefordert, bei den nun anstehenden Verhandlungen, für die Verbesserung der Pflege konkrete und verbindliche Maßnahmen zu ergreifen und einen „Masterplan“ vorzulegen.

Brysch erinnerte daran, dass schon in der letzten Koalition die Versorgung insbesondere von demenziell erkrankten Menschen Teil des Koalitionsvertrages war. „Aber außer ein paar Leuchtturmprojekten und wenigen Euro mehr in der Pflege hat sich viel zu wenig getan. Der Koalitionsvertrag muss für die über 2 Millionen Betroffenen in den Heimen, und hierzu gehören sowohl Patienten als auch Mitarbeiter, handfeste und überprüfbare Maßnahmen enthalten“, forderte Brysch. Die Stiftung wies darauf hin, dass es in Deutschland kein Erkenntnisproblem gäbe, stattdessen die Mutlosigkeit der Politik, wichtige Weichen in der Gesundheitsversorgung zu stellen. Schließlich koste das Gesundheitssystem gut 245 Milliarden Euro, bei der Pflege kämen aber nicht einmal 10 Prozent an.

Die Angst vor Pflegeheimen und die Frage der menschenwürdigen Pflege tauchen auch immer wieder in der Debatte um Sterbehilfe und Suizidbegleitung auf. So gab u.a. eine vom ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch beim Selbstmord begleitete Frau dies als Grund für ihre Entscheidung an, ihr Leben beenden zu wollen.

Dramatische Fälle

Auch der saarländische MDK übte im Vorfeld der Veröffentlichung der Ergebnisse massiv Kritik an den Pflegenoten und den Kriterien, nach denen Pflegeheime bewertet werden sollen. So seien laut Bericht des ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ seit Juli im Saarland insgesamt neun Einrichtungen kontrolliert worden. Das schlechteste Pflegeheim habe mit der Note 3,1 immerhin noch ein befriedigend bekommen. „Und das ist eine Einrichtung, bei der die Pflegekassen und die Heimaufsicht die Schließung betreiben, weil eine Gefährdung der Bewohner nachgewiesen wurde“, sagte der Geschäftsführer des MDK im Saarland, Jochen Messer gegenüber „Report Mainz“.

Ähnlich dramatische Fälle melde der Medizinische Dienst in Rheinland-Pfalz, die vor kurzem dem MDK-Verwaltungsrat vorgestellt wurden. Hier habe eine Einrichtung mit der Gesamtnote 2,8 abgeschnitten, obwohl der MDK „die Versorgung der Bewohner“ für „nicht sichergestellt“ hält.

So hatte nach „Report Mainz“ vorliegenden Unterlagen eine extrem unterernährte und damit abgemagerte Versicherte die verordnete hochkalorische, also sehr reichhaltige Nahrung, nur teilweise erhalten. „Es kann keinem zu Pflegenden zugemutet werden, dass er in einer solchen Pflegeeinrichtung gepflegt wird. Die Pflege ist in wesentlichen Bereichen mangelhaft. Und das muss dazu führen, dass eine solche Pflegeeinrichtung mit mangelhaft/ungenügend bewertet wird“, sagte MDK-Verwaltungsrat Andreas Peifer gegenüber dem TV-Magazin.

Ein anderes Pflegeheim habe sogar die Gesamtnote 1,5 bekommen, obwohl aufgrund von Pflegefehlern bei einem von zehn untersuchten Versicherten ein Dekubitus entstand, der zu einem längeren Krankenhausaufenthalt führte. „Die tatsächliche Pflegequalität wird durch die Transparenzkriterien eindeutig verschleiert. Aus unserer Sicht stellt dies eine große Volksverdummung dar“, so Peifer.

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