Patientenverfügung

30.06.08: Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen am 26.06.08 (Teil 2)

30.06.08: Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen am 26.06.08 (Teil 2)

Am 26.06.08 beriet in erster Lesung der Deutsche Bundestag über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen. Verfasst wurde der Gesetzentwurf federführend vom SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker sowie von Michael Kauch (FDP), Dr. Luc Jochimsen (Die Linke) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen). Unterstützt wird der Antrag von gut 200 Abgeordneten quer durch die Fraktionen, mit Ausnahme der CDU/CSU. Weitere, früher kursierende, alternative bzw. neue Gesetzentwürfe (siehe dazu das Themenspecial vom 12.05.08: Patientenverfügungsgesetz – Neues Bündnis aus Union und Grünen) lagen bei der Debatte nicht vor.

Der eingebrachte Gesetzentwurf betont das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sieht vor, dass die vorab verfasste Willenserklärung eines Patienten grundsätzlich verbindlich sein soll, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Nur bei Zweifeln über den Patientenwillen oder Missbrauchsverdacht soll das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden. Äußert der Patient Lebenswillen, so soll eine auf Nichteinleitung oder Behandlungsabbruch gerichtete frühere Verfügung nicht wirksam sein.

Kontroverse Diskussion

In der gut einstündigen Debatte mit insgesamt elf Rednern aus allen Fraktionen wurde der Antrag vor relativ leerem Saal kontrovers diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass die Meinungen bei dem Thema nach wie vor weit auseinander gehen und bei den Abgeordneten erheblicher Widerstand gegen eine unbegrenzte Reichweite von Patientenverfügungen besteht. Bisher lehnt die Mehrheit der Abgeordneten den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Im Vorfeld der aktuellen Debatte hat Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) in mehreren Zeitungsbeiträgen z.B. in der Welt am Sonntag und der Frankfurter Rundschau angemahnt, Patientenverfügungen endlich gesetzlich zu regeln. Auch Zypries gehört zu den Unterzeichnern des Stünker-Entwurfs.

Um einen „schonenden Ausgleich“ zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Schutzpflicht des Staates für das Leben zu schaffen, arbeiten Abgeordnete um den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, an einem eigenen Gesetzentwurf. Ziel des Gesetzentwurfes soll ebenfalls „die Klarstellung der Rechtslage und die Schaffung von Verhaltenssicherheit für alle Beteiligten“ sein. Jedoch sei dabei ein praktikables Verfahren nötig, das Irrtum und Missbrauch ausschließe, aber keine unnötigen bürokratischen Prozeduren schaffe. Eine Entscheidung des Betroffenen gegen lebensverlängernde Maßnahmen im Sterben sei zu respektieren, die Grenzen zu aktiver Sterbehilfe dürften jedoch nicht verwischt werden, heißt es von Seiten der Verfasser. Aus den Reihen der Abgeordneten werden jedoch auch Stimmen laut, die fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gesetzlich regeln zu wollen.

Breite Kritik am geplanten Patientenverfügungsgesetz

Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Jörg-Dietrich Hoppe, bekräftigte in einer Pressemitteilung vom 23. Juni noch einmal, dass die deutsche Ärzteschaft ein Gesetz zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen nicht für notwendig hält. „Wir haben Klarheit – und diese wird durch ein Gesetz nicht noch klarer werden“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe demnach in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Aus Sicht der Ärzteschaft ist nach den Worten Hoppes eine Patientenverfügung stets verbindlich. Voraussetzung sei, dass die Verfügung auf die Situation zutreffe, in der die Entscheidung zu einer Behandlung getroffen werden müsse und sich der Patient aktuell, etwa weil er im Koma liegt, nicht äußern könne. Zudem dürfe nicht angenommen werden, der Patient habe seine Meinung geändert.

Hoppe verwies darauf, dass die Bundesärztekammer in diesem Jahr die Mediziner umfassend über diese Rechtsauffassung unterrichtet habe. Er glaube auch nicht, dass durch ein Gesetz Streitfälle, die durch die Gerichte entschieden werden müssten, ausgeschlossen werden könnten. Zudem seien nach seiner Ansicht die Fälle auch zu unterschiedlich, um durch ein Gesetz erfasst und „schablonenhaft“ geregelt werden zu können. Als sinnvoll sieht Hoppe allenfalls eine Regelung zur Einschaltung der Vormundschaftsgerichte an. Diese werden derzeit schon dann angerufen, wenn es Meinungsunterschiede zwischen Betreuer und Arzt über eine Behandlung gibt.

Selbstbestimmung und Fürsorgepflicht nicht gegeneinander ausspielen

Die Deutsche Hospiz Stiftung warnte davor, Selbstbestimmung und Fürsorgepflicht gegeneinander auszuspielen. „Laut Verfassung hat der Mensch Anspruch auf Selbstbestimmung und staatliche Fürsorge. Diesem Anspruch der Verfassung wird der Antrag um Stünker nicht gerecht“, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung am Tag der Debatte. Er mahnte, eine Patientenverfügung könne nur Ausdruck echter Selbstbestimmung sein, wenn der Verfügende informiert und aufgeklärt wurde. Die tägliche Erfahrung der Deutschen Hospiz Stiftung zeige, dass Menschen mit dem Verfassen einer Patientenverfügung überfordert und ohne fachkundige Beratung hilflos sind.

„Eine Verankerung der fachkundigen Beratung als Wirksamkeitsvoraussetzung wäre der geeignete Weg, die Achtung des Selbstbestimmungsrechts und die staatliche Fürsorgepflicht für das Leben miteinander in Einklang zu bringen“, betonte Brysch. Auf diese Weise nehme man auch denjenigen den Wind aus den Segeln, die glauben, staatliche Fürsorge sei nur durch eine Reichweitenbeschränkung zu erreichen. Zusätzlich könne man auch denen entgegentreten, die gar keine Regelung einer schlechten vorziehen würden, so Brysch. Ferner dürfe nicht vergessen werden, dass viele Menschen auch nach einer Gesetzesregelung zunächst keine oder keine praxistaugliche Patientenverfügung haben werden. Deshalb bleibe die Ermittlung des mutmaßlichen Willens auch weiterhin wichtig. „Der Stünker-Entwurf ist hier nur oberflächlich“, kritisierte Brysch. Unzureichende Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens würden so zum „Einfallstor für Fremdbestimmung.“

Zum Abschluss der Plenardebatte wurde der Gesetzentwurf an verschiedene Ausschüsse überwiesen. Voraussichtlich im Herbst, nach der Sommerpause, soll es weitergehen mit den Beratungen.

Terminverschiebung und frühere Bundestagsdebatte zu Patientenverfügungen

Im Vorfeld der Bundestagsdebatte gab es Kritik an der Verschiebung des Termins. Denn ursprünglich war für die Beratung dieses Themas der 19.06.08 vorgesehen, wurde dann jedoch zu Gunsten einer Debatte über Palliativversorgung (siehe dazu das eigene Themenspecial zur Plenardebatte am 19.06.08 über Palliativversorgung) an diesem Tag auf den 26.06.08 verschoben. Mehr dazu im Themenspecial vom 31.05.08 über die Bundestagsdebatte am 19.06.08 zur gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen (Teil 1).

Anfang letzten Jahres, am 29.03.07, wurde im Bundestag schon einmal ausführlich über ein Patientenverfügungsgesetz debattiert. Alle Informationen dazu finden Sie in einem früheren Themenspecial zur Bundestagsdebatte am 29.03.07 über Patientenverfügungen.

Dokumente zur Plenardebatte über Patientenverfügungen am 26.06.08

Pressespiegel

Ergänzend finden Sie eine Auswahl von Meldungen zur Bundestagsdebatte am 26.06.08 über Patientenverfügungen sowie weitere Artikel im Vorfeld der Debatte.

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