24.11.08: Meinungsumfrage unter Medizinern: Jeder Dritte für assistierten Suizid – jeder Sechste für aktive Sterbehilfe
Laut einer aktuellen repräsentativen, anonymen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Healthcare im Auftrag des Nachrichtenmagazins Spiegel unter 483 Ärzten würden 35 Prozent der Befragten eine Regelung befürworten, die es Ärzten ermöglicht, Patienten mit fortgeschrittener, schwerer, unheilbarer Krankheit beim Suizid zu helfen. Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid ist in Deutschland straflos, kann aber berufsrechtliche Konsequenzen haben. Ganze 16,4 Prozent der Mediziner sprachen sich zudem für die bislang in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe aus. Diese Ergebnisse wurden am 22. November 2008 bei Spiegel Online veröffentlicht.
Befragt wurden Mediziner, die als Hausarzt oder Internist, Onkologe, Anästhesist und Palliativmediziner im Krankenhaus Schwerstkranke behandeln. Erschreckend ist auch, dass sich demnach fast 40 Prozent vorstellen können, selbst Patienten beim Suizid zu helfen. Über 3,3 Prozent der befragten Mediziner gaben an, bereits ein- oder mehrmals einem Patienten beim Suizid geholfen und damit ihrem Standesrecht zuwidergehandelt zu haben. Laut Spiegel wären das hochgerechnet allein unter den befragten Ärztegruppen ca. 3000 Mediziner. Nicht mitgerechnet sei dabei die Dunkelziffer der aktiven Sterbehilfe.
Kritik zur Sterbehilfe-Umfrage unter Medizinern
Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle e.V., Dr. med. Claudia Kaminski, erklärte am 24. November 2008 in einer Pressemitteilung, die Ergebnisse der Befragung seien „ein Skandal“. „Anderseits kann es kaum wundern, dass in einer Gesellschaft, welche die Tötung von Kindern im Mutterleib bereits weitreichend legalisiert hat und teilweise sogar mit den Steuergeldern ihrer Bürger subventioniert, auch andere, für selbstverständlich erachtete ethische Prinzipien aus dem Blick geraten. Standesvertretung und Gesetzgeber sind nun gefordert, unmissverständlich klarzustellen, dass die Beihilfe zum Selbstmord dem ärztlichen Ethos diametral entgegengesetzt ist“, mahnte Kaminski.
Ärzte seien moralisch verpflichtet, soweit ihnen das mittels der ärztlichen Kunst möglich ist, zu heilen und Leid zu lindern. Ärzte und Patienten müssten dabei grundsätzlich akzeptieren, dass auch die ärztliche Kunst bisweilen an Grenzen stößt. „Werden diese Grenzen erreicht, ist es ethisch keine akzeptable Alternative, anstelle des Leids den Leidenden aus der Welt zu schaffen oder ihn dabei zu unterstützen, dies selbst zu tun. Dies wäre vielmehr ein entsetzlicher Verrat am ärztlichen Heilauftrag, der zudem weitreichende Konsequenzen für das Vertrauen der Patienten in die gesamte Ärzteschaft hätte“, so die Ärztin.
Aus Sicht der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) sei es darüber hinaus dringend erforderlich, dass sich unsere Gesellschaft rechtzeitig darüber Gedanken macht, welche Folgen eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids für den Rest der Gesellschaft hätte. „Dazu gehört auch, sich klar zu machen, dass angesichts der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen und des demografischen Wandels sehr schnell eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entstehen könnte, die dann all jene unter Druck setzen würde, sich ebenfalls zu töten, wenn es für sie keine Aussicht auf Heilung mehr gibt“, warnte Kaminski. Aus der aus falsch kanalisiertem Mitleid geborenen Möglichkeit, ärztliche Hilfe beim Selbstmord in Anspruch zu nehmen, könne sehr leicht eine Pflicht zum Suizid werden. „Um dies zu verhindern, gibt es nur einen sicheren Weg: Beihilfe zum Selbstmord muss für Ärzte tabu bleiben“, so Kaminski abschließend.
Die Deutsche Hospiz-Stiftung forderte in einer Pressemitteilung angesichts der Befragungsergebnisse verpflichtende ethische Fortbildungen für ärztliche Berufe und mehr Geld für eine professionelle Sterbebegleitung. Die Umfrage zeige, „wie wenig sattelfest Ärzte sowohl in ethischen als auch medizinischen Fragen sind“.
Ergänzende Informationen:
- Ein Drittel deutscher Ärzte befürwortet Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar, Beihilfe zum Suizid kann berufsrechtliche Konsequenzen haben. Dennoch plädieren viele Ärzte dafür, Patienten beim Suizid helfen oder gar auf Wunsch der Kranken deren Leben beenden zu dürfen. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des SPIEGEL.
SPIEGEL Online 22.11.08