24.06.08: Bundestagsdebatte über Palliativversorgung am 19.06.08
Am 19.06.08 beriet der Deutsche Bundestag über einen Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zum Thema „Leben am Lebensende – Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende schaffen“ sowie über den Zwischenbericht der ehemaligen Bundestags-Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“.
In ihrem achtseitigen Antrag fordern die Grünen u.a., Palliativmedizin und -pflege zu einem expliziten Pflichtlehr- und Prüfungsfach des Medizinstudiums zu machen und sich gemeinsam mit Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass auch die Pflege Schwerkranker mit hohem Versorgungsbedarf in der eigenen Häuslichkeit abgesichert ist. Des weiteren sollen menschenwürdige Sterbebegleitung ein zu berücksichtigender Faktor bei der Zertifizierung von Pflegeeinrichtungen werden. Von der Bundesregierung sollen zudem gesetzliche Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf vorgeschlagen werden.
Schwerstkranken Menschen ein würdevolles Sterben zu Hause ermöglichen
In der gut einstündigen Debatte mit insgesamt acht Rednern aus allen Fraktionen wurde der Antrag kontrovers diskutiert. Einigkeit herrschte darin, dass es dringend notwendig sei, schwerstkranken Menschen ein würdevolles Sterben zu Hause zu ermöglichen. Kritisiert wurde von Unions-Abgeordneten, dass viele Punkte in dem Grünen-Antrag bereits durch andere Gesetze geregelt seien, so z.B. mit der Gesundheitsreform und dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz.
Der Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Belange der Menschen mit Behinderungen, Hubert Hüppe, erklärte, Menschen mit Behinderungen, insbesondere Menschen mit so genannter „geistiger“ Behinderung, hätten besondere Bedürfnisse bei der Palliativversorgung. Krankenkassen und Leistungserbringer seien daher aufgefordert, Konzepte zur palliativmedizinischen Versorgung von behinderten Menschen vorzulegen, die diese besonderen Bedürfnisse berücksichtigen. Wichtig sei, dass Hospizleistungen nicht nur Bewohnern in Altenheimen zuteil werden. Auch Kinder und Erwachsene beispielsweise in Behindertenhilfeeinrichtungen müssen diese Leistungen in Anspruch nehmen können, so Hüppe.
Christian Kleiminger von der SPD appellierte an die Adresse von Bildungsministerin Schavan, endlich einen Lehrstuhl für Palliativ Care in Deutschland zu schaffen. „Denn wenn wir eine Spezialisierung und Palliativkompetenz in der Breite wollen, dann brauchen wir gute Ausbildung nach internationalen Standards und intensive wissenschaftliche Forschung im Bereich Hospiz und Palliativmedizin“, so Kleiminger in einer Presseaussendung am Tag der Debatte.
Kritik der Deutschen Hospiz Stiftung: Antrag nur oberflächlich
Die Deutsche Hospiz Stiftung kritisierte im Vorfeld der Debatte den Antrag der Grünen als oberflächlich. „Der Bundestag hat die Aufgabe, praxistaugliche Gesetze zu erlassen. Gemessen daran ist der Antrag der Bündnisgrünen zum Leben am Lebensende mehr als enttäuschend“, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung vom 19. Juni.
„In 14 Punkten wärmen die Bündnisgrünen bereits bekannte Forderungen wieder auf. Diese stammen größtenteils aus dem Bericht der Enquete-Kommission zu Palliativmedizin und Hospizarbeit aus dem Jahr 2005. In keinem Punkt macht der Antrag konkrete Vorschläge zur rechtlichen Umsetzung“, verdeutlichte Brysch. Damit fehle dem Antrag die nötige Substanz, um tatsächlich Verbesserungen in der Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden erreichen zu können.
Das Papier gehe beispielsweise weder detailliert auf finanzielle noch auf personelle Ressourcen der in puncto Sterbebegleitung völlig unterversorgten 1,4 Millionen Pflegebedürftigen ein.
Ein weiteres Beispiel sei, dass der Eigenanteil der stationären Hospize als Leistungsgerbringer auf maximal fünf Prozent begrenzt werden soll. Mit keinem Wort aber erwähne der Antrag den Eigenanteil der Patienten. „Es kann nicht sein, dass Politiker über solch wichtige Themen diskutieren, aber tatsächlich nur an der Oberfläche kratzen“, mahnte Brysch. Stattdessen müsse die Politik priorisieren und regelnd in das Gesundheitssystem eingreifen, „damit die Schwächsten nicht hinten herunter fallen.“
Abgeordneten-Kritik
Bündnis 90 / Die Grünen hatten ihren Antrag, der bereits letztes Jahr in ähnlicher Form vorlag, erst kurzfristig in den Bundestag eingebracht. Daher mussten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, die eigentlich an dieser Stelle geplante erste Lesung des Entwurfs für ein Patientenverfügungsgesetz um den Abgeordneten Joachim Stünker (SPD) zu verhindern. (Siehe dazu das am 06.06.08 ergänzte Themenspecial vom 31.05.08 unten zur Vertagung der Patientenverfügungsdebatte.) „Vor diesem Hintergrund bedauere ich umso mehr, dass der Antrag dem Thema nicht gerecht wird“, erklärte Brysch.
Auch der FDP-Abgeordnete Michael Kauch kritisierte in der Plenardebatte die Absetzung des ursprünglich geplanten Themas. Laut Tagesordnung des Bundestages wird nun der Entwurf für ein Patientenverfügungsgesetz am Donnerstag, den 26. Juni 2008 als TOP 8 behandelt. Hierfür sind eine Stunde vorgesehen. Ob bis dahin noch weitere Anträge zum Thema Patientenverfügungen eingebracht werden, ist nach wie vor unklar.
Ergänzende Informationen:
Themenspecial vom 31.05.08 zur geplanten Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen (Teil 1)
Dokumente zur Bundestagsdebatte über Palliativversorgung am 19.06.08
- Auszug aus dem Plenarprotokoll der 169. Sitzung im Deutschen Bundestag am 19. Juni 2008 zur Palliativversorgung
14 Seiten vom 19.06.08
- Leben am Lebensende – Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende schaffen
Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
8 Seiten, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/9442 vom 04.06.08
Anm.: Dieser Antrag wurde von den Grünen bereits vor gut einem Jahr am 25.04.07 nahezu identisch als Drucksache 16/5134 eingebracht.
- Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit
Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin*)
84 Seiten, Drucksache 15/5858, 15. Wahlperiode 22.06.05
Pressespiegel
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl von Meldungen zur Bundestagsdebatte am 19.06.08 über Palliativ-Versorgung
Grüne fordern Palliativmedizin als Pflichtfach
Berlin – Abgeordnete aller Fraktionen haben am Donnerstag im Bundestag bei einer Aussprache zur Palliativversorgung betont, dass es dringend notwendig sei, schwerstkranken Menschen ein würdevolles Sterben zu Hause zu ermöglichen.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 20.06.08
Deutsche Hospiz Stiftung: Bündnisgrünen-Antrag zum Leben am Lebensende kratzt nur an der Oberfläche
PRESSEMITTEILUNG Deutsche Hospiz Stiftung 19.06.08
Besondere Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei der Palliativversorgung berücksichtigen
Konzepte zur palliativmedizinischen Versorgung von behinderten Menschen vorlegen
PRESSEMITTEILUNG Hubert Hüppe, MdB, CDU 19.06.08
Lehrstuhl für Palliativ Care schaffen
Wir appellieren auch an die Adresse der Bildungsministerin: Wir muessen endlich einen Lehrstuhl fuer Palliativ Care in Deutschland schaffen.
PRESSEMITTEILUNG Carola Reimann und Christian Kleiminger, MdBs, SPD 19.06.08
Sterbende Menschen brauchen bessere Hilfen
Versorgung Sterbender Zuhause nicht befriedigend geregelt
PRESSEMITTEILUNG Deutscher Caritasverband e.V., 19.06.08
Grüne fordern bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke
Gesundheit/Antrag
Berlin: (hib/MPI) Die Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verbessern. In einem Antrag (16/9442) fordern sie die Bundesregierung auf, sich gemeinsam mit Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass auch die Pflege Schwerstkranker mit hohem Versorgungsbedarf in der eigenen Wohnung ermöglicht wird.
Heute im Bundestag HIB 172/2008 12.06.08
Anm.: Leider nicht mehr abrufbar.
Bundestag berät Gesetzentwurf zu Patientenverfügungen später
Berlin –Der Bundestag wird den Gesetzentwurf für Patientenverfügungen später beraten als von den Initiatoren angekündigt.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 06.06.08
Patientenverfügung: Die Lektion der Stammzelldebatte
Von Oliver Tolmein
Der 19. Juni hätte ein beeindruckender Debattentag im Bundestag werden können:
FAZ.NET 06.06.08