23.12.06: Italien: Neue Sterbhilfe-Debatte nach Tod von Piergiorgio Welby
In Italien ist erneut eine hitzige Debatte über Sterbehilfe entbrannt. Hintergrund der Diskussion ist der Tod des an Muskeldystrophie erkrankten, völlig bewegungsunfähigen und die letzten 10 Jahre auf künstliche Beatmung angewiesenen Piergiorgio Welby, der vehement für das Recht auf Sterbehilfe und den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen eingetreten war. Er starb in der Nacht auf den 21. Dezember, nachdem der Anästhesist Mario Riccio dem 60-jährigen nach eigenen Angaben ein Beruhigungsmittel verabreicht und anschließend das Beatmungsgerät ausgeschaltet hatte. Dies berichtete u.a. „Die Welt“ in der Online-Ausgabe vom 22.12.06.
Der Fall sorgte bereits seit September für Aufsehen, nachdem Welby in einem offenen Brief an den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano um „die Gnade der Sterbehilfe“ gebeten hatte (siehe das Themenspecial vom 29.09.06 unten). Eine Klage Welbys auf Sterbehilfe wurde vergangene Woche von einem Zivilgericht in Rom zurückgewiesen. Das Gericht habe das Parlament aufgefordert, sich mit dem Thema zu befassen und Gesetzeslücken zu schliessen. Bisher ist in Italien aktive wie auch passive Sterbehilfe verboten. Ärzten, die Sterbehilfe leisten, drohen bis zu 15 Jahren Haft.
Wie die Basler Zeitung am 22. Dezember online berichtete, forderten nun zahlreiche Politiker die schnellstmögliche Einführung eines eindeutigen Gesetzes zum Thema Sterbehilfe. „Es ist klar, dass die einmal begonnene Debatte jetzt fortgeführt wird“, sagte Ministerpräsident Romano Prodi dem Blatt zufolge. Unterdessen sei weiter unklar, ob der den Willen Welbys ausführende Mediziner Riccio juristisch zur Verantwortung gezogen wird. Oppositionspolitiker Luca Volonté von der christdemokratischen UDC im Parlament in Rom habe gefordert „die Verantwortlichen für diesen Mord müssen verhaftet werden“.
„Keine Euthanasie, sondern eine Sterbebegleitung wie sie der Patient ausdrücklich gewollt hat“
Der Mediziner Mario Riccio, der laut Tagesspiegel vom 22. Dezember auch der Nationalen Kommission für Bioethik angehört, sei bereits am Donnerstag Nachmittag zusammen mit Marco Cappato, dem Chef des Verbandes „Luca Coscioni“, der sich für die Legalisierung von Euthanasie einsetzt, von Ermittlern der italienischen Spezialpolizei Digos verhört worden. Cappato habe den Arzt gebeten, Welby in seinem Sterbe-Wunsch zu helfen. Riccio und die Anwälte Welbys hätten betont, es sei lediglich der Wunsch des Patienten, von seinem Leiden erlöst zu werden, erfüllt worden.
Die Deutsche Hospiz Stiftung begrüßte in einer Pressemitteilung vom 22.12.06 ausdrücklich, dass der Wunsch des Patienten Welby, ihn sterben zu lassen, nun von einem Arzt respektiert wurde. „Es ist damit endlich der Wille des Patienten akzeptiert worden. Das ist keine Euthanasie, sondern eine Sterbebegleitung wie sie der Patient ausdrücklich gewollt hat. Es ist entsetzlich, wie lange dem Willen des Patienten nicht entsprochen wurde“, erklärte der Geschäftsführer der Stiftung, Eugen Brysch.
Die Einstellung der lebensverlängernden Maßnahmen unter palliativer Begleitung, hier beispielsweise die Gabe eines Schmerzmittels, sei nur konsequent. Vom deutschen Recht wäre sie gedeckt gewesen. Hierzulande können und müssen lebenserhaltende Maßnahmen unterlassen werden, sofern der äußerungsfähige Patient dies wünscht. Das „Sterbenlassen“ ist im Unterschied zur Euthanasie keine aktive Tötungshandlung, sondern lediglich das „Nicht-Weiter-Hinauszögern“ des ohnehin unabwendbaren Todes erklärte die Deutsche Hospiz Stiftung.
Deutsche Hospiz Stiftung fordert Vereinheitlichung europäischen Rechts
Die Deutsche Hospiz Stiftung forderte anlässlich der italienischen Sterbehilfe-Debatte eine Vereinheitlichung europäischen Rechts. Bundeskanzlerin Merkel solle sich als EU- Ratspräsidentin im ersten Halbjahr 2007 auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass Patientenrechte EU-weit Geltung erlangen und für alle Bürger durchsetzbar werden. Der Fall in Italien zeige, dass die Kluft zwischen den Rechtssystemen immer noch groß ist, Ungleichbehandlungen und Irritationen der Bürger die Folge seien.
„Wir brauchen endlich eine eindeutige Rechtslage für alle Europäer. Diese muss klar zwischen der Sterbebegleitung, Hospizarbeit und dem Sterbenlassen auf der einen Seite und der verbotenen Euthanasie auf der anderen Seite unterscheiden“, forderte Brysch. Das würde dann auch von Betroffenen und Bürgern verstanden und nicht nur von Experten, die in Fachgremien diskutieren, so die Stiftung.
Ergänzende Informationen:
- „Ich habe dem Wunsch Welbys zu sterben nachgegeben“
DIE WELT 21.12.06
- Sterbehilfe: Zum Leben verurteilt
Piergiorgio Welby leidet an einer unheilbaren Muskelkrankheit. Der 60-Jährige kann nicht mehr reden, essen oder sich bewegen. Er hat nur noch einen Wunsch: zu sterben. Aber das verbieten die Gesetze in Italien. Das Schicksal von Welby spaltet das Land.
Von Paul Badde
DIE WELT 18.12.06
- Themenspecial vom 29.09.06: Italien: Parlamentsstreit über Sterbehilfe