09.03.21: Zum Sachstand in der Suizidhilfe-Debatte: Bundesregierung antwortet auf Kleine Anfrage der FDP-Fraktion
Die Abgeordneten der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag haben eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum aktuellen „Sachstand in Sachen Sterbehilfe“ gestellt. Darin erkundigen sie sich u.a. nach der Zahl der Anträge auf den Erwerb eines tödlichen Mittels und den Bescheiden dazu. Des Weiteren fragen sie nach den Plänen der Bundesregierung bezüglich einer Neuregelung der Suizidbeihilfe nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Februar 2020. Nun liegen die Antworten auf die 10 Fragen seit 12.02.21 vor. Sie wurden kürzlich auf der Bundestagswebseite veröffentlicht.
Wie die FDP in ihrer Vorbemerkung ausführt, hat die gesellschaftliche Diskussion zur Sterbehilfe spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Februar 2020 in Sachen Sterbehilfe an Fahrt aufgenommen. Die Bundesregierung habe sich eines Standpunktes hinsichtlich einer möglichen Neuregelung des Sterbehilferechts enthalten und wertet laut eigener Aussage das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus. (Siehe dazu das Themenspecial zur Antwort auf eine Kleine Anfrage vom August 2020 unten.) Trotzdem sammle die Bundesregierung Informationen und Wissen zu der Thematik, befrage Sachverständige und Experten und führt die Aufsicht über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das für die Erlaubniserteilung zum Erwerb eines tödlich wirkenden Medikaments zuständig ist .
Zum Stand einer erneuten Prüfung des Nichtanwendungserlasses
Die Liberalen wollen nun wissen, wie der Stand ist hinsichtlich einer erneuten Prüfung des Nichtanwendungserlasses bzw. der Bitte an das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, Anträge auf Erteilung einer betäubungsmittelrechtlichen Erwerbserlaubnis zur Selbsttötung zu versagen. Diese Prüfung solle ausweislich eines Kurzvermerkes des Referats 122 des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26. Februar 2020 vorgenommen werden.
Zudem interessiert die FDP, welche Schlüsse die Bundesregierung zieht aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln in den Verfahren gerichtet auf Erteilung einer betäubungsmittelrechtlichen Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung und welche Auswirkungen das Urteil auf die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anhängigen Anträge auf Erlaubniserteilung des Erwerbs eines tödlich wirkenden Medikaments zur Selbsttötung hat.
Die Bundesregierung verweist zur Beantwortung dieser Fragen auf eine frühere Antwort vom August 2020 auf die Fragen 1 bis 4 und 6 der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP „Weiteres Vorgehen der Bundesregierung in Sachen Sterbehilfe nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 2020 (Bundestagsdrucksache 19/22407)“. Darin habe sie bereits ausgeführt, dass die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), verpflichtet sein kann, eine Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erteilen, der gerichtlichen Überprüfung unterliegt.
Mit Urteilen vom 24. November 2020 habe das Verwaltungsgericht (VG) Köln fünf dieser Klagen abgewiesen. In der Sache habe es entschieden, dass schwerkranke Menschen nach derzeitiger Rechtslage keinen Anspruch auf den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung haben. Gegen die Urteile des VG Köln wurde die Berufung jeweils zugelassen. Der Abschluss der Rechtsmittelverfahren bleibe abzuwarten.
Vertiefte Diskussion über eine mögliche Positionierung zur Regulierung der Suizidbeihilfe
Des Weiteren wollten die FDP-Abgeordneten wissen, ob es innerhalb der Bundesregierung zwischenzeitlich eine vertiefte Diskussion über eine mögliche Positionierung darüber gegeben hat, ob und wie die Suizidassistenz reguliert werden kann. Auch interessiert sie, wie viele Stellungnahmen zur Neuregelung der Sterbehilfe, wie sie vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang 2020 gegenüber verschiedenen Verbanden, Institutionen und Vertretern der Wissenschaft und Kirchen teils explizit gefordert wurden, eingegangen sind und wie der stand der Auswertung ist.
Schließlich erkundigten sich die Liberalen danach, wie die weiteren Planungen der Bundesregierung und insbesondere des Bundesministeriums fur Gesundheit in Sachen Sterbehilfe aus sehen und wie die vorhandenen Informationen verarbeitet werden.
Die Bundesregierung fasste diese Fragen zusammen und erklärte dazu, dem Bundesministerium für Gesundheit seien bislang 55 Stellungnahmen und Beiträge von Verbänden, Organisationen, Kirchen und Sachverständigen zu einer möglichen Neuregelung der Suizidassistenz übermittelt worden. Zudem sei ein Entwurf für einen interfraktionellen Antrag von MdB Helling-Plahr, Lauterbach, Sitte u. a. sowie ein Gesetzentwurf von MdB Künast, Keul u. a. bekannt geworden.
„Dies spricht dafür, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestag eine Befassung aus der Mitte des Parlaments heraus anstreben. Das BMG hat zwischenzeitlich in Ausarbeitung der Stellungnahmen einen hausinternen Arbeitsentwurf erstellt. Eine abschließende Positionierung der Bundesregierung über das Ob und Wie einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe liegt jedoch noch nicht vor“, so die Bundesregierung.
Keine eigenen Regelungsvorschläge zur Suizidbeihilfe geplant
Zur Frage, ob die Bundesregierung oder das Bundesministerium für Gesundheit bereits, im Rahmen seiner Zuständigkeiten und Möglichkeiten, Maßnahmen unternommen habe, um zu einer „guten Lösung“ in Sachen Sterbehilfe beizutragen, die den Werten von Leben und Selbstbestimmung gleichermaßen gerecht werde heißt es in der Antwort: „Nach seinerzeitiger Einschätzung sollten die Urteilsgründe des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung zu § 217 Strafgesetzbuch wie auch der Ausgang des Vorlageverfahrens nach Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz zu der Regelung in § 5 Absatz 1 Nummer 6 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) abgewartet und in weitere Überlegungen, wie zukünftig vorgegangen werden soll, einbezogen werden.“
Mit Beschluss vom 20. Mai 2020 habe die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit der Vorlagen festgestellt. Mit der Unzulässigkeitsentscheidung sei das Verfahren der konkreten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht abgeschlossen und in den vor dem VG Köln seinerzeit anhängigen Ausgangsverfahren sei der Aussetzungsgrund entfallen. Der Ausgang dieser Verfahren einschließlich der Rechtsmittelverfahren sei abzuwarten.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz plane jedoch nicht nicht, einen eigenen Regelungsvorschlag vorzulegen. Nach Ansicht von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht müsse es eine „Gewissensentscheidung frei von Fraktionsdisziplin bleiben“, wie die Suizidhilfe gesetzlich geregelt werde. Laut Interview mit der Rheinischen Post, veröffentlicht am 06.03.2020 halte sie es deshalb unverändert für notwendig, eine Neuregelung zur Suizidbeihilfe über Gruppenanträge aus der Mitte des Bundestages zu initiieren.
Sachstand: Anträge auf Erlaubnis des Erwerbs eines Tötungsmittels
Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation wollten die Fragesteller wissen, ob der Bundesregierung Informationen vorliegen, wie viele Anträge auf Kostenübernahme eines assistierten Suizides seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 bei den gesetzlichen Krankenkassen eingegangen sind und wenn ja, in welchem Bearbeitungsstand sich diese Anträge befinden. „Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor“, so die knappe Antwort.
Des Weiteren interessierte die FDP, wie viele Anträge auf Erlaubnis des Erwerbs eines bestimmten Tötungsmittels oder anderen Betäubungsmitteln zur Selbsttötung seit September 2020 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt wurden, und wie viele bereits abgelehnt wurden.
Laut Bundesregierung wurden seit dem 1. September 2020 beim BfArM 19 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung gestellt. Bis zum 29. Januar 2021 wurden fünf dieser Anträge abgelehnt.
Insgesamt wurden der Bundesregierung zufolge seit dem 2. März 2017 bislang 209 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung gestellt. In keinem Fall sei ein Antrag bewilligt worden, 136 Anträge seien demnach abgelehnt worden. 45 Widersprüche wurden durch Widerspruchsbescheid zurückgewiesen, ein Widerspruch wurde zurückgenommen und vier Widerspruchsverfahren sind noch anhängig.
Weitere Informationen:
Aktueller Sachstand in Sachen Sterbehilfe
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP– Drucksache 19/26281 –
Die Drucksache enthält zusätzlich den Fragetext.
Deutscher Bundestag 19. Wahlperiode, Drucksache 19/26666 vom 12.02.2021 (12 Seiten, PDF-Format)
Themenspecial vom 11.08.20: Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage der FDP-Fraktion zu einer möglichen Neuregelung der Suizidbeihilfe