15.04.19: Bundesverfassungsgericht verhandelt über Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 16. und 17. April 2019 jeweils ab 10.00 Uhr in Karlsruhe über sechs Verfassungsbeschwerden gegen ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, § 217 Strafgesetzbuch.
Beschwerdeführer sind unter anderem Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, die Suizidhilfe anbieten, schwer erkrankte Personen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten, sowie in der ambulanten oder stationären Patientenversorgung tätige Ärzte.
Wie das Bundesverfassungsgericht in einer Pressemitteilung zum Verhandlungsbeginn ausführte, leiten die Beschwerdeführer, die Suizidhilfe in Anspruch nehmen möchten, insbesondere aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Dieses Recht umfasse als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung auch die Unterstützung Dritter bei der Umsetzung der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen. Sie machen geltend, § 217 StGB greife in dieses Recht ein, weil die von ihnen gewählte Form der Suizidassistenz der Strafnorm unterfalle und ihnen daher nicht mehr zugänglich sei.
Vereine rügen Verletzung ihrer Grundrechte, Ärzte die Verletzung der Gewissens- und Berufsfreiheit
Die beschwerdeführenden Vereine rügen im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Artikel 9 Abs. 1 GG und Artikel 2 Abs. 1 GG. In Artikel 9 GG geht es um das Recht auf Vereinsgründung und Einschränkungen dazu. Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz besagt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Die von ihnen angebotene Suizidhilfe erfülle die Voraussetzungen von § 217 StGB. Deshalb könnten sie für ihre Mitglieder auf diesem Gebiet nicht mehr tätig werden. Andernfalls setzten sie ihre Mitarbeiter dem Risiko der Strafverfolgung und sich selbst der Gefahr der Verhängung einer Geldbuße nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG oder eines Vereinsverbots nach § 3 VereinsG aus.
Die beschwerdeführenden Ärzte stützen ihre Verfassungsbeschwerden auf eine Verletzung der Gewissens- und Berufsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG) und beanstanden insbesondere die Bestimmtheit und Reichweite der angegriffenen Vorschrift. Der § 217 StGB stelle nicht hinreichend sicher, dass die im Einzelfall geleistete ärztliche Suizidhilfe straffrei bleibe. Nicht sicher zu beurteilen sei auch, ob § 217 StGB bislang straffreie Formen der Sterbehilfe (indirekte Sterbehilfe und Behandlungsabbruch) und der Palliativmedizin erfasse. Der § 217 StGB verhindere damit eine am Wohl des Patienten orientierte Behandlung.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in ein paar Monaten erwartet. Wann konkret ist noch unklar.
Deutscher Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) bekräftigt Notwendigkeit und Bedeutung eines Verbots aller geschäftsmäßigen Formen der Suizid-Beihilfe
Anlässlich der beginnenden Verhandlung zu den Klagen gegen § 217 StGB vor dem Bundesverfassungsgericht wies der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) erneut auf die Notwendigkeit und die Bedeutung eines Verbots aller geschäftsmäßigen Formen der Beihilfe zum Suizid hin.
„Der Angst vor Würdeverlust in Pflegesituationen und bei Demenz sowie vor unerträglichen Schmerzen mit der gesetzlichen Legitimierung der Beihilfe zum Suizid zu begegnen, kann in einer solidarischen Gesellschaft nicht gewollt sein“, erklärte Benno Bolze, Geschäftsführer des DHPV in einer Pressemitteilung vom 16.04.19. „Vielmehr brauchen wir eine Kultur der Wertschätzung gegenüber kranken und sterbenden Menschen sowie Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung für alle Menschen an jedem Ort in Deutschland.“
Der § 217 StGB war 2015 nach intensiver gesellschaftlicher und politischer Debatte im Deutschen Bundestag verabschiedet worden. Das Gesetz stelle sicher, dass nicht nur der auf Gewinn abzielenden, sondern auch der regelmäßig wiederkehrenden, in organisierter Form durchgeführten Förderung der Selbsttötung die Basis entzogen wird.
Mit dem zeitgleich verabschiedeten Hospiz- und Palliativgesetz habe der Gesetzgeber 2015 aus Sicht des DHPV „ein starkes Signal“ für eine Gesellschaft gesetzt, in der Autonomie und Selbstbestimmung auch für den Fall von schwerer Krankheit und nahendem Tod sichergestellt werden. „Denn Autonomie und Selbstbestimmung am Lebensende heißt vor allem, die hospizliche und palliative Unterstützung in Anspruch nehmen zu können, die man wünscht und benötigt“, so Bolze. „Daher brauchen wir kein Gesetz, das die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe legitimiert, sondern den weiteren, konsequenten Ausbau entsprechender Angebote überall dort, wo Menschen ihr Lebensende verbringen, vor allem zu Hause, im Krankenhaus und in stationären Pflegeeinrichtungen.“
Bundesärztekammer: Respekt vor dem Leben bewahren
Der Präsiden der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery betonte in einer Pressemitteilung zum Verhandlungsbeginn, Beihilfe zum Suizid gehöre nach den Berufsordnungen aller Ärztekammern in Deutschland nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.
„Menschen mit existenziellen Leiden benötigen medizinische Hilfe und menschliche Zuwendung. Palliativmedizin vermag dies zu leisten, geschäftsmäßige Sterbehilfe dagegen nicht. Sie ermöglicht kein Sterben in Würde, sondern verstellt den Weg für eine adäquate Behandlung und Begleitung schwer und unheilbar Erkrankter. Deshalb war es richtig, dass der Gesetzgeber der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Jahr 2015 einen Riegel vorgeschoben hat“, so Montgomery.
Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten sei es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. „Die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid gehören nach den Berufsordnungen aller Ärztekammern in Deutschland nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten. Wird Suizidhilfe zum akzeptierten Spektrum ärztlicher Tätigkeit erklärt, könnte in der Folge an alle Ärztinnen und Ärzte die Erwartung gerichtet werden, dass sie bei der Selbsttötung medizinisch unterstützen müssten. Eine solche Erwartung stünde im eklatanten Widerspruch zur medizinisch-ethischen Grundhaltung der Ärzteschaft und zu den grundlegenden Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten“, stellte der BÄK-Präsident klar.
Mit der Regelung in § 217 StGB habe der Gesetzgeber klare strafrechtliche Grenzen gesetzt. Das Verbot schütze auch vor einer Normalisierung des Suizids und es trage vor allem dazu bei, menschliches Leben zu schützen und bewahren. Dabei müsse es bleiben.
Deutsche Stiftung Patientenschutz: Geschäftsmäßige Suizidbeihilfe ist weder Sterbebegleitung noch Palliativmedizin
Kritik kam auch vom Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch: „Mit der Entscheidung des Bundestages im Jahr 2015 haben Sterbehelfer ihre organisierten Selbsttötungsangebote in Deutschland eingestellt. Das ist gut so. Die Abgeordneten wollten dabei ganz bewusst eine Tat unterbinden, die auf Wiederholung ausgelegt ist“ erklärte Brysch in einer Presseaussendung. Es spiele dabei keine Rolle, ob Profit gemacht werde oder nicht. Denn die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe sei weder Sterbebegleitung noch Palliativmedizin.
„Der Suizid selbst und die Hilfe dazu bleiben weiterhin straffrei. Mit dem Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch wird also nicht in die Grundrechte der Menschen eingegriffen. Das gilt auch für Ärzte, wenn sie palliative Sterbebegleitung anbieten“, betonte Brysch. Schließlich gebe es nach knapp vier Jahren nicht eine Verurteilung eines Palliativmediziners.
Ebenso habe die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes Auswirkung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hatte beschlossen, dass der Staat in Einzelfällen Mittel zur Selbsttötung zur Verfügung stellen soll. „Es kann aber nicht sein, dass ein Bundesamt die verbotene Arbeit der Sterbehelfer übernimmt“, so Brysch.
Ergänzende Informationen:
Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht zu Verfassungsbeschwerden gegen § 217 StGB
Deutsche Stiftung Patientenschutz, 01. März 2017 (48 Seiten, PDF-Format)
Keine organisierten und gewerblichen Formen der Beihilfe zum Suizid – Für einen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland.
DHPV-Überblick zu aktuellen Debatten zu Sterbe- und Suizidbeihilfe
Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe – darum geht es in dem Verfahren
Suizidhilfe als Dienstleistung steht seit Ende 2015 unter Strafe. Nun beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht mit mehreren Klagen gegen diese Regelung. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
SPIEGEL Online 16.04.19
Karlsruhe zu Sterbehilfeverbot: Was kann hier Freiheit heißen?
Von Oliver Tolmein
FAZ.NET 14.04.19