25.11.06: Protest gegen Medienpreis des Deutschen Hygiene Museums und der DKV für Beitrag „Der gute Tod“ über Kindereuthanasie

Im Deutschen Hygiene Museum (DHMD) in Dresden wurde am Abend des 24.11.06 trotz vorangegangener heftiger Proteste der mit 12.000 Euro dotierte Medienpreis an den Journalisten und Autor Erwin Koch für seinen Beitrag „Der gute Tod“ verliehen. Der Text, der am 4. März 2006 in „Das Magazin“ in der Schweiz veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit dem Thema Sterbehilfe am Beispiel der Ausführungen des niederländischen Kinderarzt Eduard Verhagen. Er führt Euthanasie an neugeborenen Kindern durch und hat bislang vier Kinder auf diese Weise mit staatlichem Wissen und Genehmigung durch eine Kommission getötet.

Verhagen begründet seine Tötung schwer kranker und wehrloser Kinder mit ihrem großen Leid. Ihr Leben widerspreche den Interessen des kranken Kindes. Die Preisjury hob auf der Webseite des DHMD hervor, „dass Erwin Koch seine Leser mit der Dramatik eines moralischen Dilemmas konfrontiert, ohne ihnen eine bestimmte Sichtweise aufzuzwingen.“

Proteste auf breiter Front gegen Medienpreis

Die behindertenpolitischen Sprecher aller im Bundestag vertretenen Fraktionen sahen dies anders und übten zuvor an der Preisverleihung heftige Kritik. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom 23.11.06 äußerten sie ihre Bestürzung über die geplante Preisverleihung für einen Euthanasietext ausgerechnet im Dresdener Deutschen Hygiene-Museum, in dem gegenwärtig die Ausstellung „Tödliche Medizin – Rassenwahn im Nationalsozialismus“ stattfindet.

Es sei ihnen unverständlich, wie die DKV Krankenversicherung und das Deutsche Hygiene-Museum eine solche Arbeit für ihren diesjährigen Medienpreis „Im Zentrum der Mensch“ auswählen konnten. Der mit dem Preis ausgezeichnete Text „Der gute Tod“ ästhetisiere die Euthanasie an kranken und behinderten neugeborenen Kindern in den Niederlanden.

„Von 1933 bis 1945 ermordeten die Nationalsozialisten mehr als 200.000 Menschen im Zuge sogenannter ‚Euthanasie‘-Maßnahmen, 400.000 wurden Opfer von Zwangssterilisationen“, zitieren sie aus der Internetseite des Deutschen Hygiene-Museums. „Es gibt kein ‚lebensunwertes Leben‘. Niemand darf Menschen mit schwerer Behinderung oder Krankheit töten, und sei es aus Mitleid.“, stellten die Parlamentarier klar. Die geplante Auszeichnung des Kindereuthanasie-Textes wäre „ungeheuerlich und verhängnisvoll.“ Sie forderten daher eine Absage der Veranstaltung.

Offener Brief vom Bund der „Euthanasie“ – Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. und Arbeitskreis zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation

Auch der Bund der „Euthanasie“ – Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. und der Arbeitskreis zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation appellierten in einem offenen Brief an den Direktor des Deutschen Hygiene Museums, Klaus Vogel, die Preisverleihung zu überdenken. In diesem Beitrag werde die niederländische Praxis der Tötung schwerstbehinderter Neugeborener positiv und als „humanste Form ihre Behandlung“ dargestellt. Andere Umgangsweisen mit schwerstbehinderten Neugeborenen, insbesondere die Möglichkeiten einer palliativen Versorgung, blieben unerwähnt.

Die Methode des Artikels sei ihnen aus der internationalen Euthanasiebewegung allzu bekannt und sei „weder neu, noch überzeugend.“ „Der Einzelfall, hier ein Mädchen mit Epidermolysis bullosa, wird als so leidvoll dargestellt, dass die Euthanasietäter mindestens mit Verständnis, wenn nicht mit Zustimmung rechnen können. Die emotionalisierende Darstellung dramatischer Einzelfälle haben Euthanasie-Befürworter immer wieder benutzt, um damit den Boden für eine Euthanasie ermöglichende Gesetzgebung zu bereiten“, heißt es in dem offenen Brief vom 24.11.06.

InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland: Medienpreis zurücknehmen

Auch die InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland reagierte mit scharfer Kritik auf die Preisverleihung. „Für bioethik-kritische Organisationen ist es unverständlich, wie die Jury zu dieser Entscheidung kommen konnte“, sagte Christian Frodl, Sprecher und der Koordinator der InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland. „Einerseits holt das Deutsche Hygiene Museum Dresden eine Ausstellung „Tödliche Medizin: Rassenwahn im Nationalsozialismus“, die u.a. den Massenmord an „lebensunwertem Leben“ thematisiert, nach Deutschland und will damit die Folgen der damaligen Ideologie aufzeigen und sich der eigenen unrühmlichen Vergangenheit stellen. Andererseits prämiert die DKV Krankenversicherung und das Museum einen Artikel, der mit den Ausführungen Verhagens die Tötung „lebensunwerten“ Lebens von kranken und behinderten neugeborenen Kindern in den Niederlanden beschönigt und in dem seine Aussagen und Rechtfertigungen zur Erlösung von Leiden nahezu unwidersprochen in den Raum gestellt werden.

Hier hätte das Deutsche Hygienemuseum mit dem Medienpreis zum Thema „Im Zentrum der Mensch“ ein weiteres Zeichen als Ergänzung zur Ausstellung setzen und einen Artikel prämieren können, der sich für das uneingeschränkte Lebensrecht von Menschen mit Behinderung ausspricht. Beispielsweise Beiträge von Autoren, die über ein Sterben in Würde in Hospizen berichten“, erklärte Frodl. Die InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland forderte die Jury daher nachdrücklich dazu auf, den Preis für den Beitrag zurückzunehmen und an einen Autor zu vergeben, der der Problematik gerecht wird.

Nach einer am Freitagabend versandten gemeinsamen Pressemitteilung des Hygienemuseums und der DKV, in der auch auf die Kritik der Gegner eingegangen wird, hält die Jury den Artikel für einen „wichtigen Beitrag zu der öffentlichen Diskussion über diese Grenzfragen medizinischer Ethik, die mit dem gebotenen nötigen Ernst, und Respekt für unterschiedliche politische, weltanschauliche oder religiöse Standpunkte geführt werden müsse“. „Doch bei der Frage nach Euthanasie an schwer kranken und wehrlosen Kindern geht es nicht einfach nur um so genannte ´Standpunkte`, die zur Disposition stehen, sondern um Leben oder Tod“, stellte Frodl klar.

Durch die Nominierung des Artikels „Der gute Tod“ werde zudem das Bemühen des Hygienemuseums, sich mit seiner eigenen Vergangenheit über die Ausstellung „Tödliche Medizin: Rassenwahn im Nationalsozialismus“ kritisch auseinander zu setzen, ad absurdum geführt und seine Glaubwürdigkeit selbst in Frage gestellt, gab der Sprecher der kritischen Bioethik-Initiative den Juroren zu bedenken.

Weitere Texte:

Pressespiegel zum Medienpreis

Der umstrittene Tod
Erika Feyerabend
Sterbehilfe bei Neugeborenen: Das Hygiene-Museum würdigt einen zweifelhaften journalistischen Beitrag
FREITAG Nr. 49, 08.12.06

Reportage über Kindereuthanasie bekommt 12.000 Euro als Medienpreis
Beitrag über Kriterien zur legalen Tötung schwerkranker Kinder „geehrt“.
KATH.NET 26.11.2006

Medienpreis für Reportage über Kindereuthanasie
Berlin/Dresden (kobinet) Trotz eines Protests der behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen im Bundestag (kobinet 23.11.06) haben das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden und die DKV Deutsche Krankenversicherung eine wohlwollende Reportage über Kindereuthanasie ausgezeichnet.
KOBINET-NACHRICHTEN 26.11.2006

Hat Preisträger die Euthanasie „ästhetisiert“?
Dresdner Medienpreises geht an Schweizer Erwin Koch – Behinderte protestieren
Dresden/dpa. Der Schweizer Journalist und Autor Erwin Koch soll trotz Kritik aus dem Bundestag an seinem Text den Dresdner Medienpreis «Im Zentrum der Mensch» erhalten.
MITTELDEUTSCHE ZEITUNG 24.11.06

Preisverleihung für Bericht über Kindereuthanasie verhindern
Berlin (kobinet) Die behindertenpolitischen Sprecher aller Fraktionen im Deutschen Bundestag haben sich heute gemeinsam gegen die Auszeichnung eines Beitrages gewandt, der wohlwollend über Kindereuthanasie berichtet.
KOBINET-NACHRICHTEN 23.11.06

Zur Themenrubrik Peter Singer und Tötung behinderter Neugeborener

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