Patientenverfügung

30.03.07: Bundestag-Debatte über Patientenverfügungen

30.03.07, ergänzt am 22.06.07: Bundestag-Debatte über Patientenverfügungen am 29.03.07

Am 29. März 2007 hat der Deutsche Bundestag erstmals ausführlich über mögliche gesetzliche Regelungen für Patientenverfügungen debattiert. In der knapp dreieinhalbstündigen Debatte, bei der zuvor der Fraktionszwang aufgehoben wurde, legten 33 Abgeordnete aller Fraktionen ihre Positionen dar, weitere neun Abgeordnete gaben ihre Reden schriftlich zu Protokoll (siehe unten). Dabei wurde deutlich, wie schwierig es offenbar werden wird, zu einer gemeinsamen tragbaren Regelung zu finden.

Frage der Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen

Im Kern ging es um die Frage der so genannten Reichweitenbeschränkung, d.h. ob Patientenverfügungen nur bei „unumkehrbar tödlichem Verlauf“ gelten sollen, um einen weitreichenden Lebensschutz zu gewährleisten, wie es ein Gesetzentwurf der Angeordneten Wolfgang Bosbach (CDU/CSU), René Röspel (SPD), Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) und Otto Fricke (FDP) u.a. vorsieht, oder ob Patientenverfügungen auch bei nicht tödlich verlaufenden Krankheitsfällen z.B. im Wachkoma oder bei schwerster Demenz verbindlich sein sollten.

Hierzu hat der Abgeordnete Joachim Stünker (SPD) zusammen mit anderen Kollegen einen Entwurf verfasst. Demnach soll ein Patient auch dann den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verfügen können, wenn seine Erkrankung nicht zwingend zum Tod führt. Das Grundgesetz begründe keine „Pflicht zu leben“, so die Argumentation. Bosbach begründete eine Reichweitenbeschränkung damit, dass diese „zum Wohl des Patienten erforderlich“ sei und warnte vor einer „Lebensbeendigung von Erkrankten, die an ihrer Erkrankung nicht sterben müssten“. Es müsse ein Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Lebensschutzpflicht des Staates gefunden werden. Er plädierte für den Grundsatz „Im Zweifel für das Leben“. Bundesjustizministerin Zypries äußerte in ihrer Rede dagegen erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer Reichweitenbeschränkung.

In der kontrovers, aber doch sachlich geführten Debatte gingen die Meinungen der Abgeordneten in den Fragen einer Reichweitenbeschränkung weit auseinander. Nicht wenige plädierten dafür, gar keine Regelungen für das Lebensende zu erlassen, da dieser Bereich nicht wirklich zu regeln sei. Die Gesetzentwürfe selbst standen noch nicht zur Abstimmung.

Weiteres Verfahren

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) fasste in einer Zwischenbemerkung die Debatte mit den Worten zusammen, dass es eine „rundum überzeugende Lösung nicht gibt“. Medienberichten zufolge soll die Diskussion nun zunächst in den Fraktionen fortgesetzt werden. Konkrete Gesetzesanträge könnte dann der Bundestag im Sommer beraten.

Unmittelbar vor der Debatte warnten u.a. die beiden Kirchen vor einer Überbewertung der Patientenverfügungen und einer unbeschränkten Reichweite und forderten den dringend notwendigen Ausbau von Hospizwesen und Möglichkeiten palliativmedizinischer Begleitung.

Nachfolgend haben wir einige Dokumente, Stellungnahmen und die relevanten Auszüge aus dem Plenarprotokoll vom 29.03.07 zusammgestellt sowie einen umfangreichen Pressespiegel, der einen Überblick über die Resonanz in den (Online-)Medien bietet. Weitere Ergänzungen folgen, bis ein einsprechendes Gesetz verabschiedet wurde bzw. beschlossen wurde, keines zu erlassen!

Ergänzung am 22.06.07

Mittlerweile stehen drei Gesetzentwürfe zur Auswahl. Der letzte stammt von einer überfraktionellen Gruppe um Joachim Stünker (SPD), Michael Kauch (FDP), Lukrezia Jochimsem (Die Linke) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen). Ziel der jüngsten Vorlage sei mehr Selbstbestimmung für die Patienten. Der Gesetzentwurf stärke die Verbindlichkeit der Verfügungen, lehnt eine Reichweitenbeschränkung ab und begrenzt die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichtes, teilten die Mitglieder des Bundestages Joachim Stünker (SPD), Michael Kauch (FDP), Dr. Luc Jochimsen (Die Linke) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) in einer gemeinsamen Presseaussendung am 19.06.07 mit.

Zwei Wochen zuvor haben die Abgeordneten Hans Georg Faust (CDU) und Wolfgang Zöller (CSU) ebenfalls einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach Verfügungen zwar in jedem Fall verbindlich sein sollen, Arzt und Betreuer aber in jedem Einzelfall prüfen müssten, ob der schriftlich fixierte Wille mit dem aktuellen Zustand des nicht äußerungsfähigen Patienten übereinstimmt. Mehr dazu im Pressespiegel.

Zusatzinformationen:

Bereits im November 2004 gab es einen Versuch, die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gesetzlich zu regeln, der jedoch gescheitert ist. Siehe dazu unser Themenspecial vom 08.11.04: Bundesjustizministerin Zypries legt Gesetzentwurf zu Patientenverfügungen vor.

Dokumente und Stellungnahmen

PDF Protokoll der Bundestagsdebatte vom 29.03.07 über Patientenverfügungen
Auszug aus dem offiziellen Plenarprotokoll 16/91, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht der 91. Sitzung, Berlin, den 29. März 2007
55 Seiten (470 kb)

PDF Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts
Diskussionsentwurf des rechtspolitischen Sprechers der SPD, Joachim Stünker, MdB, zu Patientenverfügungen
29 Seiten vom 19.04.05

PDF Entwurf eines Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügunggesetz – PatVerfG)
Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU/CSU), René Röspel (SPD), Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) und Otto Fricke (FDP) u.a.
Deutscher Bundestag, Drucksache 16/…
40 Seiten, vorgestellt am 23.03.07

PDF Stellungnahme der Deutschen Hospiz Stiftung zum Entwurf Bosbach/Röspel für ein Patientenverfügungsgesetz
3 Seiten vom 26.03.07

Keine Abwertung kranker und behinderter Menschen
Marburg (kobinet) Die Bundesvereinigung Lebenshilfe und eine Reihe weiterer Verbände plädieren dafür, dass es keine Abwertung kranker und behinderter Menschen bei der Debatte zu Patientenverfügungen geben dürfe.
KOBINET-NACHRICHTEN 29.03.07

„Mensch ist nicht Herr über Leben und Tod“ / Patientenverfügung: Kolpingwerk fordert Wahrung der Menschenwürde
Köln – Anlässlich der im Deutschen Bundestag anstehenden Erörterung einer neuen gesetzlichen Regelung zur Geltung von Patientenverfügungen tritt das Kolpingwerk Deutschland nachdrücklich für die Wahrung der Menschenwürde in allen Lebensphasen ein. Dies bedeute für Patientenverfügungen eine eng gezogene Reichweitenbeschränkung.
PRESSEMITTEILUNG Kolpingwerk Deutschland 22.03.2007

PDF Bekanntmachungen: Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis
Bekanntgaben der Herausgeber: Bundesärztekammer
Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 13 vom 30.03.2007, Seite A-891

Presseschau zur Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen

Ergänzend finden Sie eine Presseschau mit einer Auswahl von Meldungen ab Januar 2007 bis zur Bundestagsdebatte am 29.03.07 und später, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Zur Themenrubrik Patientenverfügungen und Vorsorgevollmacht

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