15.03.07: Fragwürdiges Verfahren: Entscheidung über Leben und Tod mittels PC-Programm

15.03.07: Fragwürdiges Verfahren: Entscheidung über Leben und Tod mittels Computerprogramm

Wissenschaftlern des Department of Clinical Bioethics der National Institutes of Health in Bethesda, Maryland, USA, haben ein neues Computerprogramm entwickelt, das den mutmaßlichen Willen schwer kranker Patienten ermitteln soll, die sich über ihre medizinische Behandlung nicht mehr äußern können. Die Ergebnisse einer Studie wurden nun in dem Fachblatt Public Library of Science Medicine (Ausgabe March 2007, Volume 4, Issue 3) veröffentlicht.

Mittels dieser Software soll eine bessere Entscheidung ermöglicht werden als bei einer Befragung von Angehörigen. Diese könnte notwendig werden, wenn z.B. keine Patientenverfügung vorliegt. Denn nach Ansicht der Forscher um David Wendler müssen Entscheidungen von Angehörigen nicht unbedingt dem Willen der Patienten entsprechen. Es sei besser, sich auf die Ansicht von Personen zu stützen, die den gleichen Lebenshintergrund haben wie die betroffenen Patienten.

Den Berichten zufolge trifft das Computerprogramm seine Entscheidungen auf der Grundlage von verschiedenen Fallstudien, bei denen Teilnehmer Angaben zu ihrem medizinischen Willen bei fiktiven Krankheitsszenarien gemacht haben. Dabei wurden die Befragten von Wissenschaftlern nach sozioökonomischen Faktoren in Gruppen zusammengefasst. Das solle einen exakten Vergleich mit dem Lebensstil des Patienten und seinem vermuteten medizinischen Willen garantieren solle, hieß es. Dazu gibt der behandelnde Arzt als erstes das genaue Krankheitsbild des Patienten und dessen Indikatoren für seinen sozialen Status ein. Danach vergleicht das Programm die Werte mit den angegebenen Daten der zugehörigen sozialen Gruppe und berechnet auf dieser Basis die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Patient eine bestimmte medizinische Behandlung gewünscht hätte.

Computerprogramm vs. Angehörigenentscheidung

Normalerweise werden bei schwerkranken Patienten, die sich nicht mehr selbst äußern können, von den Ärzten die engsten Familienangehörigen befragt, falls der betroffene Patient selbst keine Angaben darüber gemacht hat, welche Behandlung er sich im Falle einer schweren Erkrankung wünscht. Wie Wendler und seine Kollegen mit einer Analyse von 16 Studien jedoch angeblich nachwiesen, hätten die Befragten nur in 68 Prozent der Fälle die richtige Entscheidung getroffen. Ein Vergleich der Ergebnisse der Software mit den Empfehlungen der engsten Angehörigen habe ähnlich gute Entscheidungen ergeben.

Problematisch dabei sei jedoch gewesen, dass der Computer mangels detaillierter Studien nur mit sehr allgemeinen Daten gefüttert werden konnte, welche die US-Bevölkerung im Allgemeinen widerspiegeln. Dennoch habe das Programm die Präferenzen der Patienten ebenso häufig wie die Angehörigen getroffen. Nach Einschätzung der Forscher wäre das Programm vermutlich sogar zuverlässiger, wenn es auf einer größeren Menge von Fallstudien basieren würde. Ob die Akzeptanz, eine Entscheidung durch den Computer mittels des so genannten „bevölkerungsbasierten Behandlungsindikators“ treffen zu lassen, in der Bevölkerung und bei Ärzten hoch wäre, erscheint jedoch fraglich.

Auf deutsche Verhältnisse angewendet wäre dieses Programm nach Meinung von Arnd May vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen einem Bericht von Pressetext.Austria vom 14. März 2007 zufolge jedoch ungeeignet. Bei uns würden zunächst Diagnose und Therapiemöglichkeiten bestimmt und anschließend der Patientenwille berücksichtigt, während dieser Prozess in Amerika genau anders herum laufe, so May.

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