24.09.06: Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentag zur Sterbebegleitung / Sterbehilfe
Mehr als 3.000 Juristen trafen sich vom 19. bis 22. September 2006 beim 66. Deutschen Juristentag (DJT) in Stuttgart. Dabei wurde auch über konkrete rechtliche Regelungen zu Sterbehilfe und medizinischen Entscheidungen am Lebensende debattiert. Im Ergebnis sehen die Mitglieder des Deutschen Juristentages (DJT) in Deutschland hierbei erheblichen Reformbedarf. Dies berichtete unter anderem das Deutsche Ärzteblatt in der Online-Ausgabe vom 21.09.06.
Kernpunkte der Beschlüsse
Konkret sprach sich demnach der Deutsche Juristentag abschließend am 21. September mit großer Mehrheit für ein Gesetz aus, das Patientenverfügungen für verbindlich erklärt. Dies bedeute, dass Behandlungsabbrüche und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen auch schon vor der Sterbephase rechtlich erlaubt sein sollen. Dabei solle im Strafgesetzbuch ausdrücklich klar gestellt werden, dass sich Ärzte in solchen Fällen nicht strafbar machen.
Eine Mehrheit habe zudem befürwortet, Menschen nicht mehr zu bestrafen, wenn sie es unterlassen, einen anderen nach einem freiverantwortlichen Selbsttötungsversuch zu retten. Auch sollen Ärzte beim Suizid eines Schwerstkranken helfen dürfen, wenn dessen Leiden nicht ausreichend gelindert werden kann und er sich freiverantwortlich dafür entscheidet. Bislang verbiete das Standesrecht der Mediziner ausnahmslos ärztliche Beihilfe, Mediziner seien nach dem Berufsrecht auch beim Freitod zur Lebensrettung verpflichtet.
Gültigkeit einer Patientenverfügung soll an bestimmte Bedingungen geknüpft werden
Weiters soll nach den Vorstellungen der Delegierten die Gültigkeit einer Patientenverfügung an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. Sie müsse entweder schriftlich abgefasst oder etwa durch Videoaufnahme zuverlässig dokumentiert sein. Zudem dürften keine Anzeichen für äußeren Zwang, Täuschung oder Irrtum vorliegen. Für den Fall, dass keine schriftliche Verfügung vorliege und der Patient nicht mehr äußerungsfähig sei, müsse sein mutmaßlicher Wille gegebenenfalls durch Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ermittelt werden. Nach Ansicht der Juristen soll eine ärztliche Beratung jedoch nicht Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung sein.
Die Empfehlungen des Juristentages sind nicht verbindlich, haben aber Einfluss auf die rechtspolitische Diskussion, erläuterte das Deutsche Ärzteblatt.
Grundlage für die Diskussion war ein Gutachten von Professor Dr. Torsten Verrel. Darin sprach er sich mit Nachdruck für eine umfassende Klarstellung der Fälle zulässiger Sterbebegleitung im Strafgesetzbuch aus. Außerdem für eine Aufgabe der bisherigen Terminologie im Zusammenhang mit Sterbehilfe.
Kritik an den Beschlüssen des 66. Deutschen Juristentages
Bereits im Vorfeld des Juristentages hatten sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe gegen neue Festlegungen im Strafrecht ausgesprochen. „Ich sehe hier keinen Klarstellungsbedarf“, sagte Zypries der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten werde im Strafrecht bereits besonders Rechnung getragen. Allerdings möchte sie die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen im Zivilrecht verankern. Eine Beschränkung von Patientenverfügungen auf unheilbare Krankheiten im Endstadium lehnte Zypries laut Ärzte Zeitung vom 20.09.06 ab.
Nach Meinung von Prof. Dr. Hoppe helfe eine Reform nicht weiter. Stattdessen sollte die Verbreitung der schmerzlindernden Palliativmedizin und der Hospize noch stärker unterstützt werden. Er plädierte zudem für einen Entscheidung im Einzelfall wie bisher. Rechtsunsicherheiten für Ärzte ließen sich durch die vorgeschlagenen Änderungen nicht beseitigen, so Hoppe.
Gesetzgeber soll sich Juristentag-Beschlüsse zur Änderung des Strafrechts nicht zu Eigen machen
Auch die Deutsche Hospiz Stiftung hat die Beschlüsse des Deutschen Juristentages kritisiert. In einer Pressemitteilung vom 21.09.06 mahnte sie, der Gesetzgeber solle sich die gefassten Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentag zur Änderung des Strafrechts nicht zu Eigen machen. Nach Auffassung der Deutschen Hospiz Stiftung genügen diese in weiten Teilen nicht den Anforderungen an professionelle Begleitung. So gingen sie an den Bedürfnissen schwerstkranker Menschen, darunter eine wachsende Zahl dementiell erkrankter Patienten, vorbei.
Das verfassungsrechtlich gebotene Gleichgewicht zwischen Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Fürsorge werde aus ihrer Sicht nicht beachtet. „Wir erleben täglich, dass alten, kranken und sterbenden Menschen eine bedarfsgerechte Versorgung vorenthalten wird“, verdeutlichte der Geschäftsführer der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. Dagegen unterstelle die Diskussion auf dem Juristentag, dass in Krankenhäusern und Pflegeheimen nur noch „mumifizierte“ Patienten verwahrt würden, die von Ärzten aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung erbarmungslos übertherapiert würden.
„Die Empfehlungen des Juristentages zur Strafrechtsänderung helfen dem Gesetzgeber nicht weiter, weil sie die Wirklichkeit verzerrt widerspiegeln“, so Brysch. Zurück bleibe der Eindruck, dass die auf dem Podium vertretenen Juristen die Autonomie der Patienten in einem starren Behandlungsverzicht erfüllt sehen. Autonomie sei aber nur dann möglich, wenn sowohl die pflegerische als auch die medizinische Versorgung hochprofessionelle Angebote umfasst.
Mehr an Hintergrundinfos zum Juristentag und Reaktionen auf die Beschlüsse finden Sie im nachfolgenden Pressespiegel.
Ergänzende Informationen
- Brisante Themen auf dem 66. Deutschen Juristentag
Stuttgart/Karlsruhe, 24. März 2006. Der 66. Deutsche Juristentag im September 2006 in Stuttgart wird sich mit brisanten Themen befassen. Das jetzt veröffentlichte Tagungsprogramm und die Zusammenfassung der Gutachten renommierter Juristen versprechen spannende Diskussionen und wichtige Beschlüsse in den sieben Abteilungen.
PRESSEMITTEILUNG Deutscher Juristentag, 24.03.2006
- Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung
Beschlüsse des 66. Deutschen Juristentages zum Strafrecht
Stuttgart, 19. – 22. September 2006
9 Seiten
- Stellungnahme der Deutschen Hospiz Stiftung zum Gutachten „Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung“ von Prof. Dr. Verrel für den 66. Deutschen Juristentag, Stuttgart 2006
Vorgelegt von Eugen Brysch M.A., Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung
16 Seiten, September 2006
Anm.: Leider nicht mehr abrufbar.
Pressespiegel zu den Beschlüssen des 66. Deutschen Juristentages zur Sterbebegleitung und Sterbehilfe
Ergänzend haben wir chronologisch sortiert eine Presseschau mit einer Auswahl an Berichten im Vorfeld des Juristentages und zu den Beschlüssen zusammengestellt.